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pp. 44-62
Aus unseren letzten Betrachtungen ist die Berechtigung einer Logik als Kunstlehre als so selbstverständlich hervorgegangen, daß es verwunderlich erscheinen muß, wie in diesem Punkte ein Streit je hat bestehen können. Eine praktisch gerichtete Logik ist ein unabweisbares Postulat aller Wissenschaften, und dem ent
spricht es auch, daß die Logik historisch aus praktischen Motiven des Wissenschaftsbetriebes erwachsen ist. Dies geschah bekanntlich in jenen denkwürdigen Zeiten, als die neu aufkeimende griechische Wissenschaft in Gefahr geriet, den Angriffen der Skeptiker und Subjektivisten zu unterliegen, und alles weitere
Gedeihen der Wissenschaft davon abhing, objektive Wahrheitskriterien zu finden, welche den täuschenden Schein der sophistischen Dialektik zu zerstören ┌vermochten┐
Wenn man gleichwohl, zumal in neuerer Zeit unter Kants Einflusse, der Logik den Charakter einer Kunstlehre wiederholt
aberkannt hat, während man dieser Charakterisierung auf der anderen Seite fortgesetzt Wert beimaß, so kann sich der Streit doch nicht um die bloße Frage gedreht haben, ob es möglich sei, der Logik praktische Ziele zu setzen und sie darnach als eine Kunstlehre zu fassen. Hat doch Kant selber von einer ange
wandten Logik gesprochen, welcher die Regelung des Verstandesgebrauchs "unter den zufälligen Bedingungen des Subjekts, die
er sie auch nicht eigentlich als Wissenschaft gelten lassen will, wie die reine Logik,
darüber streiten — und dies ist auch ausreichend geschehen —, ob für die Förderung der menschlichen Erkenntnis durch eine Logik als praktische Wissenschaftslehre ein erheblicher Gewinn zu erhoffen sei; ob man sich z.B. von einer Erweiterung der alten Logik, die nur zur Prüfung gegebener Erkenntnisse dienen könne,
um eine ars inventiva, eine "Logik der Entdeckung" wirklich so große Umwälzungen und Fortschritte versprechen dürfe, wie Leibniz dies bekanntlich geglaubt hat, u. dgl. Aber dieser Streit betrifft keine prinzipiell bedeutsamen Punkte, und er entscheidet sich durch die klare Maxime, daß schon eine mäßige Wahrschein
lichkeit für eine künftige Förderung der Wissenschaften die Be-arbeitung einer
Die eigentliche und prinzipiell wichtige Streitfrage, die leider
welcher das Recht der Logik als einer eigenen wissenschaftlichen Disziplin begründe, während vom theoretischen Standpunkte aus all das, was die Logik an Erkenntnissen sammle, einerseits in rein theoretischen Sätzen bestehe, die in sonst bekannten theoretischen Wissenschaften, hauptsächlich aber in der Psychologie,
ihr ursprüngliches Heimatsrecht beanspruchen müssen, und andererseits in Regeln, die auf diese theoretischen Sätze gegründet sind.
In der Tat liegt wohl auch das Wesentliche
bestreitet, sondern daß er eine gewisse Begrenzung bzw. Einschränkung der Logik für möglich und in erkenntnistheoretischer Hinsicht für fundamental hält, wonach sie als eine völlig unabhängige, im Vergleich mit den anderweitig bekannten Wissenschaften neue, und zwar rein theoretische Wissenschaft dasteht,
welcher nach Art der Mathematik jeder Gedanke an eine mögliche Anwendung äußerlich bleibt, und welche der Mathematik auch darin gleicht, daß sie eine apriorische und rein demonstrative Disziplin ist.
Die Einschränkung der Logik auf ihren theoretischen Wissens
gehalt führt nach der vorherrschenden Form der gegnerischen Lehre auf psychologische, evtl. auch grammatische und andere Sätze; also auf kleine Ausschnitte aus anderweitig abgegrenzten und dazu empirischen Wissenschaften; nach Kant stoßen wir vielmehr noch auf ein in sich geschlossenes, selbständiges und dazu
apriorisches Gebiet theoretischer Wahrheit, auf die reine Logik.
diese, als unseren nächsten Interessen fernliegend, ab, so bleibt nur die oben hingestellte Streitfrage übrig; wir abstrahieren auf
anderweitig bekannte theoretische Wissenschaften glaubt einordnen zu können.
Den letzteren Standpunkt hat schon Beneke mit Lebhaftigkeit vertreten;
Auf demselben Boden steht auch das führende Werk der neueren logischen Bewegung in Deutschland, die Logik Sigwar ts. Scharf und entschieden spricht sie es aus: "Die oberste Aufgabe der Logik und diejenige, die ihr eigentliches Wesen ausmacht, [ist es,] Kunstlehre zu sein."
Auf dem anderen Standpunkte finden wir neben Kant insbesondere Herbart, dazu eine große Zahl ihrer Schüler.
Wie wohl sich übrigens in dieser Beziehung der extremste Empirismus mit der Kantschen Auffassung verträgt, ersieht man aus Bains Logik, die zwar als Kunstlehre aufgebaut ist,
aber eine Logik als eigene theoretische und abstrakte Wissen
anderen Wissenschaften als eine absolut unabhängige Wissenschaft voraus; aber sie ist doch eine eigene Wissenschaft, sie ist nicht wie bei Mill eine bloße Zusammenordnung psychologischer Kapitel, geboten durch die Absicht auf eine praktische Regelung der Erkenntnis.
In den mannigfachen Bearbeitungen, welche die Logik in die
und in der Regel auch von beiden Seiten als nützlich zugestanden worden ist, erschien manchen der ganze Streit um den (wesentlich) praktischen oder theoretischen Charakter der Logik als bedeutungslos. Sie hatten sich den Unterschied der Standpunkte eben nie klargemacht.
Unsere Zwecke erfordern es nicht, auf die Streitigkeiten der älteren Logiker — ob die Logik eine Kunst sei oder eine Wissenschaft oder beides oder keines von beiden; und wieder ob sie im zweiten Falle eine praktische oder spekulative Wissenschaft sei oder beides zugleich — kritisch einzugehen. Sir William Hamilton urteilt über sie und
damit zugleich über den Wert der Fragen wie folgt: "The controversy ... is perhaps one of the most futile in the history of speculation. In so far as Logic is concerned, the decision of the question is not of the very smallest import. It was not in consequence of any diversity of opinion in regard to the scope and nature of this doctrine, that philosophers disputed by what
name it should be called. The controversy was, in fact, only about what was properly an art, and what was properly a science; and as men attached one meaning or another to these terms, so did they affirm Logic
dungen und Kontroversen nicht sehr tief geforscht hat. Bestände eine angemessene Übereinstimmung in bezug auf die Behandlungsweise der Logik und den Inhalt der ihr beizurechnenden Lehren, dann wäre die Frage, ob und wie die Begriffe art und Science zu ihrer Definition gehören, von geringerer Bedeutung, obschon lange noch nicht eine
Frage der bloßen Etikettierung. Aber der Streit um die Definitionen ist (wie wir bereits ausgeführt haben) in Wahrheit ein Streit um die Wissenschaft selbst, und zwar nicht um die fertige, sondern um die werdende und vorläufig nur prätendierte Wissenschaft, bei der noch die Probleme, die Methoden, die Lehren, kurz alles und jedes zweifel
haft ist. Schon zu Hamiltons Zeiten und lange vor ihm waren die Differenzen in Ansehung des wesentlichen Gehalts, des Umfangs und der Behandlungsweise der Logik sehr erheblich. Man vergleiche nur Hamiltons, Bolzanos, Mills und Benekes Werke. Und wie sind die Differenzen seitdem erst gewachsen. Stellen wir Erdmann und 40 Drobisch, Wundt und Bergmann, Schuppe und Brentano, Sigwart und Überweg zusammen — ist das alles eine Wissenschaft
ständigen. Hält man nun damit zusammen, was wir in der Einleitung betont haben — daß die Definitionen nur die Überzeugungen ausprägen, die man über die wesentlichen Aufgaben und den methodischen Charakter der Logik besitzt, und daß hierauf bezügliche Vorurteile und Irrtümer bei einer so zurückgebliebenen Wissenschaft dazu bei
tragen können, die Forschung von vornherein auf falsche Bahnen zu lenken — so wird man Hamilton sicherlich nicht zustimmen können, wenn er sagt: "the decision of the question is not of the very smallest import".
Nicht wenig hat zur Verwirrung der Umstand beigetragen, daß
auch von seiten ausgezeichneter Vorkämpfer für die Eigenberechtigung einer reinen Logik, wie Drobisch und Berg|mann, der
Liegt nicht im Begriffe der Normierung die Beziehung auf einen leitenden Zweck und ihm zugeordnete Tätigkeiten? Besagt also normative Wissenschaft nicht genau dasselbe wie Kunstlehre?
Die Art, wie Drobisch seine Bestimmungen einführt und faßt, kann nur zur Bestätigung dienen. In seiner noch immer
wertvollen Logik lesen wir: "Das Denken kann in doppelter Beziehung Gegenstand einer wissenschaftlichen Untersuchung werden: einmal nämlich, sofern es eine Tätigkeit des Geistes ist, nach deren Bedingungen und Gesetzen geforscht werden kann; sodann aber, sofern es als Werkzeug zur Erwerbung mittelbarer Erkennt
nis, das nicht nur einen richtigen, sondern auch einen fehlerhaften Gebrauch zuläßt, im ersteren Falle zu wahren, im anderen zu falschen Ergebnissen führt. Es gibt daher sowohl Naturgesetze des Denkens als Normalgesetze für dasselbe, Vorschriften (Normen), nach denen es sich zu richten hat, um zu wahren
Ergebnissen zu führen. Die Erforschung der Naturgesetze des Denkens ist eine Aufgabe der Psychologie, die Feststellung seiner Normalgesetze aber die Aufgabe der Logik."
Von gegnerischer Seite wird man sagen: Hier ist kein Wort, das nicht Beneke oder Mill unterschreiben und zu eigenen Gunsten verwerten könnte. Gesteht man aber die Identität der Begriffe
"normative Disziplin" und "Kunstlehre" zu, so ist es auch selbstverständlich, daß, wie bei Kunstlehren überhaupt, nicht die sachliche Zusammengehörigkeit, sondern der leitende Zweck das Band ist, welches die logischen Wahrheiten zu einer Disziplin einigt.
zu ziehen, wie es die traditionelle aristotelische Logik — denn darauf kommt ja wohl die "reine" Logik hinaus — tut. Es ist widersinnig, der Logik einen Zweck zu setzen und dann gleichwohl Klassen von Normen und normativen Untersuchungen, die zu diesem Zwecke gehören, von der Logik auszuschließen. Die
Vertreter der reinen Logik stehen eben noch unter dem Banne der Tradition; der verwunderliche Zauber, den der hohle Formelkram der scholastischen Logik durch Jahrtausende geübt hat, ist in ihnen noch übermächtig.
Dies die Kette naheliegender Einwände, ganz dazu angetan,
das moderne Interesse von einer genaueren Erwägung der sachlichen Motive abzulenken, welche bei großen und selbständigen Denkern zugunsten einer reinen Logik als eigener Wissenschaft gesprochen haben, und welche auch jetzt noch auf ernste Prüfung Anspruch erheben könnten. Der treffliche Drobisch mag sich
mit seiner Bestimmung vergriffen haben; aber das beweist nicht, daß seine Position, sowie die seines Meisters Herbart und endlich diejenige des ersten Anregers, Kant,
lehren. Der Arithmetik entspricht die praktische Rechenkunst, der Geometrie die Feldmeßkunst. Wieder schließen sich, obschon in etwas anderer Weise, an die theoretischen abstrakten Naturwissenschaften Technologien, an die Physik die physikalischen, an die Chemie die chemischen Technologien. Mit Rücksicht dar
auf liegt die Vermutung nahe, es sei der eigentliche Sinn der prätendierten reinen Logik, eine abstrakte theoretische Disziplin zu sein, die in analoger Weise wie in den bezeichneten Fällen eine Technologie begründe, eben die Logik im gemeinen, praktischen Sinne. Und wie nun überhaupt bei Kunstlehren mitunter
vorzugsweise eine, mitunter aber mehrere theoretische Disziplinen den Unterbau für die Ableitung ihrer Normen beistellen, so könnte auch die Logik im Sinne der Kunstlehre von einer Mehrheit solcher Disziplinen abhängen, also in jener reinen Logik bloß das eine, wenn auch vielleicht das hauptsächlichste, Fundament
besitzen. Würde sich dann überdies zeigen, daß die im prägnanten Sinne logischen Gesetze und Formen einem theoretisch abgeschlossenen Kreis abstrakter Wahrheit angehören, der auf keine Weise in die bislang abgegrenzten theoretischen Disziplinen einzuordnen und somit selbst als die fragliche reine Logik in An
sprach zu nehmen sei: dann würde sich die weitere Vermutung aufdrängen, daß Unvollkommenheiten der Begriffsbestimmung dieser Disziplin, sowie die Unfähigkeit, sie in ihrer Reinheit darzustellen und ihr Verhältnis zur Logik als Kunstlehre klarzulegen, die Vermengung mit dieser Kunstlehre begünstigt und den Streit,
ob die Logik wesentlich als theoretische oder praktische Disziplin abgegrenzt werden solle, ermöglicht habe. Während die eine Partei auf jene rein theoretischen und im prägnanten Sinne logischen Sätze hinblickte, hielt sich die andere an die angreifbaren Definitionen der prätendierten theoretischen Wissen
schaft und an ihre tatsächliche Durchführung.
immerhin als erster Anfang und Angriff tüchtig und achtenswert. Es ist ja auch fraglich, ob die Verachtung der traditionellen Logik nicht eine ungerechtfertigte Nachwirkung der Stimmungen der Renaissance ist, deren Motive uns heute nicht mehr berühren können. Begreiflicherweise richtete sich der historisch berechtigte,
aber in der Sache oft unverständige Kampf gegen die scholastische Wissenschaft vor allem gegen die Logik als der zu ihr zugehörigen Methodenlehre. Aber daß die formale Logik in den Händen der Scholastik (zumal in der Periode der Entartung) den Charakter einer falschen Methodik annahm, beweist vielleicht
nur: daß es an einem rechten philosophischen Verständnis der logischen Theorie (soweit sie schon entwickelt war) fehlte, daß darum die praktische Nutzung derselben irrige Wege einschlug, und daß ihr methodische Leistungen zugemutet wurden, denen sie ihrem Wesen nach nicht gewachsen ist. So beweist ja auch die
Zahlenmystik nichts gegen die Arithmetik. Es ist bekannt, daß die logische Polemik der Renaissance sachlich hohl und ergebnislos war; in ihr sprach sich Leidenschaft, nicht Einsicht aus. Wie sollten wir uns von ihren verächtlichen Urteilen noch leiten lassen? Ein theoretisch schöpferischer Geist wie Leibniz, bei dem sich
der überschwengliche Reformationsdrang der Renaissance mit der wissenschaftlichen Nüchternheit der Neuzeit paarte, wollte von dem antischolastischen Kesseltreiben jedenfalls nichts wissen. Mit warmen Worten nahm er sich der geschmähten aristotelischen Logik an, so sehr sie gerade ihm als der Erweiterung und Besse
rung bedürftig erschien. Jedenfalls können wir die Vor|würfe, daß
ins klare gekommen sind.
Wir wollen, diese Vermutungen zu prüfen, nicht etwa darauf ausgehen, alle Argumente, die für die eine oder andere Auffassung der Logik historisch aufgetreten sind, zu sammeln und einer kritischen Analyse zu unterziehen. Dies wäre nicht der Weg, dem
Wir beginnen mit der Fixierung eines Satzes, der für die weitere Untersuchung von entscheidender Wichtigkeit ist, nämlich daß jede normative und desgleichen jede praktische Disziplin auf einer
oder mehreren theoretischen Disziplinen beruht, sofern ihre Regeln einen von dem Gedanken der Normierung (des Sollens) abtrennbaren theoretischen Gehalt besitzen müssen, dessen wissenschaftliche Erforschung eben jenen theoretischen Disziplinen obliegt.
Erwägen wir, um dies klarzustellen, zunächst den Begriff der normativen Wissenschaft in seinem Verhältnis zu dem der theoretischen. Die Gesetze der ersteren besagen, so heißt es gewöhnlich, was sein soll, obschon es vielleicht nicht ist und unter den gegebenen Umständen nicht sein kann; die Gesetze der letzteren
hingegen besagen schlechthin, was ist. Es wird sich nun fragen, was mit dem Seinsollen gegenüber dem schlichten Sein gemeint ist.
Zu enge ist offenbar der ursprüngliche Sinn des Sollens, welcher Beziehung hat zu einem gewissen Wünschen oder Wollen,
einer Forderung oder einem Befehl, z.B.: Du sollst mir ge
oder Wollen. Sagen wir: "Ein Krieger soll tapfer sein", so heißt das nicht, daß wir oder jemand sonst dies wünschen oder wollen, befehlen oder fordern. Eher könnte man die Meinung dahin fassen, daß allgemein, d.h. in Beziehung auf jeden Krieger, ein entsprechendes Wünschen und Fordern Berechtigung habe; obschon
auch dies nicht ganz zutrifft, da es doch nicht geradezu nötig ist, daß hier solch eine Bewertung eines Wunsches oder einer Forderung wirklich Platz greife. "Ein Krieger soll tapfer sein", das heißt
jedermann recht, der von einem Krieger fordert, daß er tapfer sei; aus demselben Grunde ist, daß er es sei, auch wünschenswert, lobenswert usw. Ebenso in anderen Beispielen. "Ein Mensch soll Nächstenliebe üben", d.h. wer dies unterläßt, ist nicht mehr ein "guter" und damit eo ipso ein (in dieser Hinsicht) "schlechter"
Mensch. "Ein Drama soll nicht in Episoden zerfallen" — sonst ist es kein "gutes" Drama, kein "rechtes" Kunstwerk. In allen diesen Fällen machen wir also unsere positive Wertschätzung, die Zuerkennung eines positiven Wertprädikates, abhängig von einer zu erfüllenden Bedingung, deren Nichterfüllung das entsprechen
de negative Prädikat nach sich zieht. Überhaupt dürfen wir als gleich, zum mindesten als äquivalent setzen ┌ die┐
Der Terminus "gut" dient uns hier natürlich im weitesten
Sinne des irgendwie Wertvollen; er ist in den konkreten, unter
von Werthaltungen, also Arten von — wirklichen oder vermeintlichen — Werten gibt.
Die negativen Aussagen des Sollens sind nicht als Negationen der entsprechenden affirmativen zu deuten; wie ja auch im gewöhnlichen Sinne die Leugnung einer Forderung nicht den Wert
eines Verbotes hat. Ein Krieger soll nicht feige sein, das heißt nicht, es sei falsch, daß ein Krieger feige sein soll, sondern: es sei ein feiger Krieger auch ein schlechter. Es sind also die Formen äquivalent: "Ein A soll nicht B sein" und "Ein A, welches B ist, ist allgemein ein schlechtes A", oder "Nur ein A, welches nicht
B ist, ist ein gutes A".
Daß sich Sollen und Nichtsollen ausschließen, ist eine formal — logische Konsequenz der interpretierenden Aussagen, und dassel
Die soeben klargelegten Urteile normativer Form sind offenbar nicht die einzigen, die man als solche wird gelten lassen, mag
auch im Ausdruck das Wörtchen ┌"soll"┐
rischen Gegensätze zu den obigen darstellen. Es ist also "muß nicht" die Negation von "soll" oder — was gleich gilt — von "muß"; "darf" die Negation von "soll nicht" oder — was gleich gilt — von "darf nicht"; wie man aus den interpretierenden Werturteilen leicht ersieht: "Ein A muß nicht B sein’’ = "Ein A,
das nicht B ist, ist darum noch kein schlechtes A". "Ein A darf B sein" = "Ein A, das B ist, ist darum noch kein schlechtes A".
Aber noch andere Sätze werden wir hierher rechnen müssen.
welche notwendigen Bedingungen für die Zuerkennung oder Aberkennung der positiven oder negativen Wertprädikate betreffen, handelt es sich in den jetzt vorliegenden um hinreichende Bedingungen. Andere Sätze wiederum wollen zugleich notwendige und hinreichende Bedingungen aussagen.
Damit dürften die wesentlichen Formen allgemeiner normativer Sätze erschöpft sein; ihnen entsprechen natürlich auch Formen partikulärer und individueller Werturteile, die der Analyse nichts Bedeutsames hinzufügen, und von denen jedenfalls die letzteren für unsere Zwecke auch nicht in Betracht kommen; sie haben
allezeit eine nähere oder fernere Beziehung zu gewissen normativen Allgemeinheiten und können in abstrakten, normativen Disziplinen nur in Anlehnung an die sie regelnden Allgemeinheiten als Beispiele auftreten. Solche Disziplinen halten sich überhaupt jenseits aller individuellen Existenz, ihre Allgemeinheiten
sind "rein begrifflicher" Art, sie haben den Charakter von Gesetzen im echten Sinne des Wortes.
Wir ersehen aus diesen Analysen, daß jeder normative Satz
darnach diese Objekte in gute und schlechte. Um das normative Urteil "Ein Krieger soll tapfer sein" fällen zu können, muß ich irgendeinen Begriff von "guten" Kriegern haben, und dieser Begriff kann nicht in einer willkürlichen Nominaldefinition gründen, sondern nur in einer allgemeinen Werthaltung, die nach diesen
oder jenen Beschaffenheiten die Krieger bald als gute, bald als schlechte zu schätzen gestattet. Ob diese Schätzung eine in irgendwelchem Sinne "objektiv gültige" ist oder nicht, ob überhaupt ein Unterschied zwischen subjektiv und objektiv "Gutem" zu machen ist, kommt hier bei der bloßen Fest
der Sollenssätze
Ist umgekehrt auf Grund einer gewissen allgemeinen Werthaltung ein Paar von Wertprädikaten für die zugehörige Klasse
festgelegt, dann ist auch die Möglichkeit normativer Urteile gegeben; alle Formen normativer Sätze erhalten ihren bestimmten Sinn. Jedes konstitutive Merkmal B des "guten" A liefert z.B. einen Satz der Form: "Ein A soll B sein"; ein mit B unverträgliches Merkmal B' einen Satz: "Ein A darf nicht (soll nicht) B'
sein" usw.
Was endlich den Begriff des normativen Urteils anbelangt, so können wir ihn nach unseren Analysen folgendermaßen beschreiben: Mit Beziehung auf eine zugrunde liegende ┌ allgemeine┐
des zugehörigen Paares von Wertprädikaten heißt jeder Satz ein normativer, der irgendwelche notwendige oder hinreichende, oder notwendige und hinreichende Bedingungen für den Besitz eines solchen Prädikates ausspricht. Haben wir einmal einen Unterschied zwischen "gut" und "schlecht" in bestimmtem Sinne, also
auch in bestimmter Sphäre wertschätzend gewonnen, dann sind
um einem Objekte der Sphäre den Wert des Guten noch geben zu können usf.
Wo wir von gut und schlecht sprechen, da pflegen wir auch in vergleichender Wertschätzung Unterschiede des Besseren und Besten bzw. des Schlechteren und Schlechtesten zu voll
ziehen. Ist die Lust das Gute, so ist von zwei Lüsten die intensivere und wieder die länger andauernde die bessere. Gilt uns die Erkenntnis als das Gute, so gilt uns noch nicht jede Erkenntnis als "gleich gut". Die Gesetzeserkenntnis werten wir höher als die Erkenntnis singulärer Tatsachen; die Erkenntnis allgemeine
rer
stitutive Inhalt des als gut — beziehungsweise schlecht — zu Bewertenden fixiert, so fragt es sich, was in vergleichender Wertung konstitutiv als besser oder schlechter zu gelten habe; des weiteren dann, welches die näheren und ferneren, notwendigen und hinreichenden Bedingungen für die relativen Prädikate sind, die den
Inhalt des Besseren — beziehungsweise Schlechteren — und schließlich des relativ Besten konstitutiv bestimmen. Die konstitutiven Inhalte der positiven und relativen Wertprädikate sind sozusagen die messenden Einheiten, nach denen wir Objekte der bezüglichen Sphäre abmessen.
Die Gesamtheit dieser Normen bildet offenbar eine durch die fundamentale Werthaltung bestimmte, in sich geschlossene Gruppe. Der normative Satz, welcher an die Objekte der Sphäre die allgemeine Forderung stellt, daß sie den konstitutiven Merkmalen des positiven Wertprädikates in größtmöglichem Ausmaße ge
nügen sollen, hat in jeder Gruppe zusammengehöriger Normen eine ausgezeichnete Stellung und kann als die Grundnorm bezeichnet werden. Diese Rolle spielt z.B. der kategorische Imperativ in der Gruppe normativer Sätze, welche Kants Ethik ausmachen; ebenso das Prinzip vom "größtmöglichen Glück der größtmöglichen Anzahl" in der Ethik der Utilitarier.
Die Grundnorm ist das Korrelat der Definition des im fraglichen Sinne "Guten" und "Besseren"; sie gibt an, nach welchem Grundmaße (Grundwerte) alle Normierung zu vollziehen ist, und stellt somit im eigentlichen Sinne nicht einen normativen
Satz dar. Das Verhältnis der Grundnorm zu den eigentlich normierenden Sätzen ist analog demjenigen zwischen den sogenannten Definitionen der Zahlenreihe und den — immer
"Definition" des maßgebenden Begriffes vom Guten — z.B. des sittlich Guten — bezeichnen; womit freilich der gewöhnliche logische Begriff der Definition verlassen wäre.
Stellen wir uns das Ziel,
meine Wertung, die Gesamtheit zusammengehöriger normativer Sätze wissenschaftlich zu erforschen, so erwächst die Idee einer normativen Disziplin. Jede solche Disziplin ist also eindeutig charakterisiert durch ihre Grundnorm bzw. durch die Definition dessen, was in ihr als das "Gute" gelten soll. Gilt uns
z.B. die Erzeugung und Erhaltung, Mehrung und Steigerung von Lust als das Gute, so werden wir fragen, welche Objekte erregen die Lust, bzw. unter welchen subjektiven und objektiven Umständen tun sie es; und überhaupt, welches sind die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für den Eintritt der Lust, für
ihre Erhaltung, Mehrung usw. Diese Fragen als Zielpunkte für eine wissenschaftliche Disziplin genommen, ergeben eine Hedo-nik; es ist die normative Ethik im Sinne der Hedoniker. Die Wertung der Lusterregung liefert hier die die Einheit der Disziplin bestimmende und sie von jeder anderen normativen Disziplin
unterscheidende Grundnorm. Und so hat eine jede ihre eigene Grundnorm, und diese stellt jeweils das einsmachende Prinzip der normativen Disziplin dar. In den theoretischen Disziplinen entfällt hingegen diese zentrale Beziehung aller Forschungen auf eine fundamentale Werthaltung als Quelle eines herrschenden
Interesses der Normierung; die Einheit ihrer Forschungen und die Zusammenordnung ihrer Erkenntnisse wird ausschließlich
forschenden.
Das normative Interesse beherrscht uns naturgemäß besonders bei realen Objekten als Objekten praktischer Wertungen; daher die unverkennbare Neigung, den Begriff der normativen
Disziplin mit dem der praktischen Disziplin, der Kunstlehre, zu identifizieren. Man sieht aber leicht, daß diese Identifizierung nicht zu Recht bestehen kann. Für Schopenhauer, welcher in Konsequenz seiner Lehre vom angeborenen Charakter alles praktische Moralisieren grundsätzlich verwirft, gibt es keine Ethik
im Sinne einer Kunstlehre, wohl aber eine Ethik als normative Wissenschaft, die er ja selbst bearbeitet. Denn keineswegs läßt er auch die moralischen Wertunterscheidungen fallen. — Die Kunstlehre stellt jenen besonderen Fall der normativen Disziplin dar, in welchem die Grundnorm in der Erreichung eines allge
meinen praktischen Zweckes besteht. Offenbar schließt so jede Kunstlehre eine normative, aber selbst nicht praktische Disziplin ganz in sich. Denn ihre Aufgabe setzt die Lösung der engeren voraus, zunächst, abgesehen von allem auf die praktische Erreichung Bezüglichen, die Normen zu fixieren, nach welchen die
Angemessenheit an den allgemeinen Begriff des zu realisierenden Zieles, an das Haben der die bezügliche Klasse von Werten charakterisierenden Merkmale beurteilt werden kann. Umgekehrt erweitert sich jede normative Disziplin, in welcher sich die fundamentale Werthaltung in eine entsprechende Zwecksetzung ver
wandelt, zu einer Kunstlehre.
Es ist nun leicht einzusehen, daß jede normative und a fortiori jede praktische Disziplin eine oder mehrere theoretische Disziplinen als Fundamente voraussetzt, in dem Sinne nämlich, daß
sie einen von aller Normierung ablösbaren theoretischen Gehalt
stimmt, wie wir sahen, die Einheit der Disziplin; sie ist es auch, die in alle normativen Sätze derselben den Gedanken der Normierung hineinträgt. Aber neben diesem gemeinsamen Gedanken der Abmessung an der Grundnorm besitzen diese Sätze einen eigenen, den einen vom anderen unterscheidenden theoretischen
Gehalt. Ein jeder drückt den Gedanken einer abmessenden Beziehung zwischen Norm und Normiertem aus; aber diese Beziehung selbst charakterisiert sich — wenn wir von dem wertschätzenden Interesse absehen — objektiv als eine Beziehung zwischen Bedingung und Bedingtem, die in dem betreffenden
normativen Satze als bestehend oder nicht bestehend hingestellt ist. So schließt z.B. jeder normative Satz der Form "Ein A soll B sein" den theoretischen Satz ein "Nur ein A, welches B ist, hat die Beschaffenheiten C", wobei wir durch C den konstitutiven Inhalt des maßgebenden Prädikates "gut" andeuten (z.B. die
Lust, die Erkenntnis, kurz das durch die fundamentale Werthaltung im gegebenen Kreise eben als gut Ausgezeichnete). Der neue Satz ist ein rein theoretischer, er enthält nichts mehr von dem Gedanken der Normierung. Und umgekehrt, gilt irgendein Satz dieser letzteren Form und erwächst als ein Neues die Wert
haltung eines C als solchen, die eine normierende Beziehung zu ihm erwünscht sein läßt, so nimmt der theoretische Satz die normative Form an: ┌ "Nur ein A, welches B ist, ist ein gutes"┐
das theoretische Interesse legt in solchen Zusammenhängen Wert auf den Bestand eines Sachverhaltes der Art M (etwa auf den Bestand der Gleichseitigkeit eines zu bestimmenden Dreiecks) und mißt daran anderweitige Sachverhalte (z.B. die Gleichwink-ligkeit: Soll das Dreieck gleichseitig sein, so muß es gleich
winklig sein), nur daß diese Wendung in den theoretischen Wissenschaften
Es ist nun klar, daß die theoretischen Beziehungen, die nach
dem Erörterten in den Sätzen der normativen Wissenschaften stecken, ihren logischen Ort haben müssen in gewissen theoretischen Wissenschaften. Soll die normative Wissenschaft also ihren Namen verdienen, soll sie die Beziehungen der zu normierenden Sachverhalte zur Grundnorm wissenschaftlich erforschen, dann
muß sie den theoretischen Kerngehalt dieser Beziehungen studieren und daher in die Sphären der betreffenden theoretischen Wissenschaften eintreten. Mit anderen Worten: Jede normative Disziplin verlangt die Erkenntnis gewisser nicht normativer Wahrheiten; diese aber entnimmt sie gewissen theoretischen
Wissenschaften oder gewinnt sie durch Anwendung der aus ihnen entnommenen Sätze auf die durch das normative Interesse bestimmten Konstellationen von Fällen. Dies gilt natürlich auch für den spezielleren Fall der Kunstlehre und offenbar noch in erweitertem Maße. Es treten die theoretischen Erkenntnisse hin
zu, welche die Grundlage für eine fruchtbare Realisierung der Zwecke und Mittel bieten müssen.
Noch eines sei im Interesse des Folgenden bemerkt. Natürlich können diese theoretischen Wissenschaften in verschiedenem Ausmaße Anteil haben an der wissenschaftlichen Begründung
und Ausgestaltung der bezüglichen normativen Disziplin; auch kann ihre Bedeutung für sie eine größere oder geringere sein. Es kann sich zeigen, daß zur Befriedigung der Interessen einer normativen Disziplin die Erkenntnis gewisser Klassen von theoretischen Zusammenhängen in erster Linie erforderlich, und
daß somit die Ausbildung und Heranziehung des theoretischen Wissensgebietes, dem sie angehören, für die Ermöglichung der normativen Disziplin geradezu entscheidend ist. Andererseits kann es aber auch sein, daß für den Aufbau dieser Disziplin
sehr wichtig, aber doch nur von sekundärer Bedeutung sind, sofern
keine Ethik überhaupt; entfallen jene ersteren Sätze, so gibt es nur keine Möglichkeit ethischer Praxis bzw. keine Möglichkeit einer Kunstlehre vom sittlichen Handeln.
Mit Beziehung auf derartige Unterschiede soll nun die Rede von den wesentlichen theoretischen Fundamenten einer nor
mativen Wissenschaft verstanden werden. Wir meinen damit die für ihren Aufbau schlechterdings wesentlichen theoretischen Wissenschaften, eventuell aber auch die bezüglichen Gruppen theoretischer Sätze, welche für die Ermöglichung der normativen Disziplin von entscheidender Bedeutung sind.
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