Vorwort zur zweiten Auflage

Edmund Husserl

pp. 8-15


Die Frage, in welcher Form ich dieses nun schon seit einer Reihe von Jahren vergriffene Werk zur Neuausgabe bringen solle, hat mir nicht geringe Sorge verursacht. Die Logischen Untersuchungen waren für mich ein Werk des Durchbruchs, und somit nicht ein Ende, sondern ein Anfang. Nach Vollendung des Druckes setzte ich die Studien sogleich wieder fort. Ich versuchte mir über Sinn, Methode, philosophische Tragweite der Phänomenologie vollkommenere Rechenschaft zu geben, die angesponnenen Problemlinien allseitig weiter zu verfolgen, zugleich auch die parallelen Probleme in allen ontischen und phänomenologischen Gebieten aufzusuchen und in Angriff zu nehmen. Begreiflicherweise verschob sich mit der Erweiterung des in Forschung genommenen Horizonts, mit der tieferen Erkenntnis der so verwirrend aufeinander bezogenen intentionalen "Modifikationen", der so vielfältig sich verschlingenden Bewußtseinsstrukturen manche der im ersten Eindringen in das neue Gebiet gewonnenen Auffassungen. Verbliebene Dunkelheiten wurden geklärt, Vieldeutigkeiten entwirrt; isolierte Bemerkungen, denen ursprünglich keine besondere Wichtigkeit beigemessen werden konnte, erhielten im Übergang in die großen Zusammenhänge eine grundlegende Bedeutung — kurzum, überall vollzogen sich in der ursprünglichen Forschungssphäre nicht bloß Ergänzungen, sondern Umwertungen, und vom Standpunkt der zugleich erweiterten und vertieften Erkenntnis erschien nun selbst die Anordnung der Darstellungen nicht mehr als eine vollangemessene. In welchem Sinne und Ausmaße sich diese Fortschritte vollzogen und die Forschungskreise erweiterten, zeigt schon das jüngst erschienene erste Buch meiner Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, welches im ersten Bande des Jahrbuchs für Philosophie und phänomenologische Forschung (1913) abgedruckt ist, und die bald erfolgende Veröffentlichung der beiden ausstehenden Bücher wird es noch besser zeigen.

Ich hegte ursprünglich die Hoffnung, es würde mir möglich sein, nach Auffindung und Durchforschung der radikalen Problematik der reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, eine Reihe systematischer Darstellungen zu geben, die einen Neudruck des alten Werkes entbehrlich machen würden: sofern sein keineswegs preisgegebener Inhalt, gereinigt und sachgemäß verteilt, in ihnen zu angemessener Mitgeltung käme. In der Ausführung stellte sich ein ernstes Bedenken ein. Bei dem Umfange und der Schwierigkeit der zwar in concreto schon durchgeführten, aber nun erst literarisch zu vereinheitlichenden, zumeist neu darzustellenden, in schwierigen Punkten wohl auch zu bessernden Untersuchungen mußte die Realisierung dieser Absicht noch viele Jahre in Anspruch nehmen. So entschloß ich mich zunächst die Ideen zu entwerfen. Sie sollten eine allgemeine und doch inhaltreiche (weil durchaus auf wirklich ausgeführter Arbeit beruhende) Vorstellung von der neuen Phänomenologie geben: von ihrer Methode, ihrer systematischen Problematik, ihrer Funktion für die Ermöglichung einer streng wissenschaftlichen Philosophie, sowie einer rationalen Theoretisierung der empirischen Psychologie. Nachher aber sollten sogleich die Logischen Untersuchungen zur Neuausgabe kommen, und zwar in einer verbesserten Gestalt, die, dem Standpunkt der Ideen nach Möglichkeit angepaßt, dazu verhelfen könne, den Leser in die Art wirklicher phänomenologischen und erkenntnistheoretischen Arbeit einzuführen. Denn wenn diese Untersuchungen von den phänomenologisch Interessierten als hilfreich empfunden werden, so liegt es darin, daß sie nicht ein bloßes Programm darbieten (und gar eins jener hochfliegenden Art, womit die Philosophie so überreich bedacht ist), sondern Versuche wirklich ausführender Fundamentalarbeit an den unmittelbar erschauten und ergriffenen Sachen; und daß sie sich selbst da, wo sie kritisch verfahren, nicht in Standpunktserörterungen verlieren, vielmehr den Sachen selbst und der Arbeit an ihnen das letzte Wort belassen. In der Wirkung sollten sich die Ideen auf diejenige der Logischen Untersuchungen stützen: War der Leser durch die letzteren mit einer Gruppe von Fundamentalfragen in expliziter Untersuchung beschäftigt gewesen, so konnten ihm die Ideen mit ihrer Art, die Methode aus letzten Quellen aufzuklären, die Hauptstrukturen des reinen Bewußtseins vorzuzeichnen und die Arbeitsprobleme in demselben systematisch aufzuweisen, für ein weiteres und selbständiges Fortschreiten behilflich sein.

Die Ausführung des ersten Stücks meines Planes war relativ leicht, und wenn auch der unerwartete Umfang der in einem Zuge entworfenen beiden ersten Bücher der Ideen (die für meine Zwecke wesentlich in Betracht kamen) während des Druckes zur Teilung der Publikation nötigte, so konnte schließlich auch das I. Buch allein vorläufig genügen. Sehr viel größer war die Schwierigkeit der Erfüllung meiner zweiten Absicht. Die Unmöglichkeit, das alte Werk ganz und gar auf das Niveau der Ideen zu erheben, sieht der Kenner ohne weiteres. Das würde ein völliges Neuverfassen des Werkes — eine Verschiebung ad kalendas graecas — bedeuten. Demgegenüber auf eine Umarbeitung ganz zu verzichten und es bloß mechanisch nachzudrucken, erschien mir aber angesichts jener die Neuausgabe rechtfertigenden Ziele mehr bequem als gewissenhaft. Durfte ich die Leser abermals durch all die Versehen, Schwankungen, Selbstmißverständnisse beirren, die, mochten sie auch bei der ersten Ausgabe eines solchen Werkes schwer vermeidlich und entschuldbar sein, ihm ein klares Erfassen des Wesentlichen unnötig erschweren würden?

Es blieb also nur übrig, einen Mittelweg zu versuchen, und dabei freilich mich selbst in gewisser Weise preiszugeben. Denn es hieß, gewisse zum einheitlichen Stil des Werkes gehörige Unklarheiten und selbst Irrtümer stehen zu lassen. Bestimmend wurden folgende Maximen für die Umarbeitung:

1. Nichts für den Neudruck zuzulassen, von dem ich nicht völlig überzeugt sein konnte, daß es eines genauen Studiums würdig sei. In dieser Hinsicht durften also auch einzelne Irrtümer verbleiben, wenn ich sie als eine natürliche Unterstufe für die, ihre guten Motive umwertende Wahrheit gelten lassen konnte. Ich durfte mir dabei auch sagen: Leser, welche von den allgemeinen philosophischen Richtungen der Gegenwart herkommen — die im wesentlichen ja noch dieselben sind, wie in dem Jahrzehnt der Entstehung dieses Werkes — finden, wie dereinst der Verfasser, zunächst nur Zugang zu gewissen phänomenologischen bzw. logischen Unterstufen. Erst wenn sie eine sichere Herrschaft über diephänomenologische Forschungsart gewonnen haben, erkennen sie die fundamentale Bedeutung gewisser Unterscheidungen, die ihnen vordem als unbedeutende Nuancen erschienen wären.

2. Alles zu verbessern, was gebessert werden konnte, ohne den Gang und Stil des alten Werkes von Grund aus zu änderen; vor allem die neuartigen Gedankenmotive, die in demselben zum Durchbruch kommen, die aber von dem anfangs noch unsicheren und zaghaften Verfasser in der ersten Auflage bald scharf bezeichnet, bald verwischt wurden, überall zu entschiedenstem Ausdruck zu bringen.

3. Den Leser im Fortgange der Darstellungen allmählich zu einem relativ steigenden Gesamtniveau der Einsicht zu erheben, darin der ursprünglichen Eigenart des Werkes folgend. Es ist hier zu erinnern, daß das Werk eine systematisch verbundene Kette von Untersuchungen war, aber nicht eigentlich ein Buch oder Werk im literarischen Sinne. Es ist darin ein beständiges Emporsteigen von einem niederen zu einem höheren Niveau, ein sich Emporarbeiten zu immer neuen logischen und phänomenologischen Einsichten, welche die früher gewonnenen nicht ganz unberührt lassen. Immer neue phänomenologische Schichten treten hervor und bestimmen mit die Auffassungen der früheren. Dieser Charakter des alten Werkes ließ eine Art der Umarbeitung als möglich erscheinen, die den Leser in bewußter Weise emporleitet, und zwar so, daß in der letzten Untersuchung im wesentlichen die Stufe der Ideen erreicht ist und in ihr die früher mit in den Kauf genommenen Unklarheiten und Halbheiten einsichtig geklärt erscheinen.

Im Sinne dieser Maximen bin ich nun vorgegangen und habe zunächst hinsichtlich der beiden vorläufig ausgegebenen Stücke (der Prolegomena und des ersten Teiles des zweiten Bandes) den Eindruck, daß die angewandten großen Mühen nicht verschwendet sind. Ich habe natürlich bald ergänzen und bald streichen, bald einzelne Sätze, bald ganze Paragraphen und Kapitel neu schreiben müssen. Der Gedankeninhalt ist dichter und extensiv reicher geworden, der Gesamtumfang des Werkes — spezieller gesprochen, des zweiten Bandes — ist, trotzdem jede Beigabe kritischen Füllsels unterlassen wurde, unvermeidlich angewachsen, weshalb dieser Band geteilt werden mußte.

Hinsichtlich der einzelnen Untersuchungen und ihrer Neugestaltung wäre folgendes zu sagen: Die Prolegomena zur reinen Logik sind ihrem wesentlichen Inhalte nach eine bloße Ausarbeitung zweier sich ergänzenden Hallenser Vorlesungsreihen aus dem Sommer und Herbst 1896. Damit hängt die größere Lebendigkeit der Darstellung zusammen, die der Wirkung förderlich gewesen ist. Die Schrift ist auch gedanklich aus einem Gusse, und so glaubte ich sie nicht radikal umarbeiten zu dürfen. Andererseits fand ich die Möglichkeit, etwa von der Mitte ab viele erhebliche Verbesserungen der Darstellung zu vollziehen, Versehen auszumerzen, wichtige Punkte in ein schärferes Licht zu rücken. Freilich einige z.T. sehr wesentliche Unzulänglichkeiten — wie der allzu einseitig nach den vérités de raison orientierte Begriff der "Wahrheit an sich" — mußten, als zum einheitlichen Niveau der Schrift gehörig, erhalten bleiben. Die sechste Untersuchung (jetzt der zweite Teil des zweiten Bandes) bringt in dieser Hinsicht die nötigen Aufklärungen.

Den Streit um den Psychologismus mit neuen Kritiken und gar mit Gegenkritiken zu belasten (die doch nicht das geringste neue Gedankenmotiv beigebracht hätten), schien mir wenig angemessen. Ausdrücklich betonen muß ich die Beziehung dieser im wesentlichen nur erneuerten Schrift vom Jahre 1899Der Druck der Prolegomena (ohne Vorrede) war schon im November 1899 vollendet. Vgl. meine Selbstanzeige in der Vierteljahrsschr. f. wiss. Philosophie, 1900, S. 512f. auf eben diesen Zeitpunkt. Seit ihrem Erscheinen haben einige der Autoren, die ich als Repräsentanten des (logischen) Psychologismus im Auge hatte, ihre Stellung wesentlich geändert. So ist z.B. Th. Lipps in seinen überaus bedeutsamen und originellen Schriften seit etwa 1902 keineswegs derselbe als der hier zitierte. Andere Autoren haben ihre psychologistische Position inzwischen anders zu begründen gesucht, und auch das ist, da meine Darstellung darauf keine Rücksicht nimmt, nicht zu übersehen.

Was nun den zweiten Band der neuen Ausgabe anbelangt, so wurde die schwankende, dem wesentlichen Sinn und der Methode der wirklich ausgeführten Untersuchungen so wenig gerecht werdende Einleitung radikal umgearbeitet. Ihre Mängel fühlte ich sogleich nach dem Erscheinen und habe auch bald Gelegenheit gefunden (in einer Rezension im Archiv. f. System.

Philos., XI. Bd., 1903, S. 397 ff.), gegen meine irreführende Bezeichnung der Phänomenologie als deskriptive Psychologie Einspruch zu erheben. Einige prinzipielle Hauptpunkte finden dort schon in kurzen Worten eine scharfe Charakteristik. Die in der inneren Erfahrung vollzogene psychologische Deskription erscheint gleichgestellt der in der äußeren vollzogenen Deskription äußerer Naturvorgänge; sie wird andererseits in Gegensatz gestellt zur phänomenologischen Deskription, in welcher alle transzendierenden Deutungen der immanenten Gegebenheiten, auch diejenigen als "psychische Tätigkeiten und Zustände" realer Ich, völlig ausgeschlossen bleiben. Die Deskriptionen der Phänomenologie, heißt es da (S. 399), "betreffen nicht Erlebnisse oder Erlebnisklassen von empirischen Personen; denn von Personen, ... von meinen und anderer Erlebnissen weiß sie nichts und vermutet sie nichts; über dergleichen stellt sie keine Fragen, versucht sie keine Bestimmungen, macht sie keine Hypothesen." Die volle reflektive Klarheit, die ich über das Wesen der Phänomenologie in diesen und den folgenden Jahren gewonnen habe, und die allmählich zur systematischen Lehre von den "phänomenologischen Reduktionen" geführt hat (vgl. die Ideen I, Abschnitt 2), wurde sowohl für die Neubearbeitung der Einleitung, als auch für den Text der ganzen weiterfolgenden Untersuchungen nutzbar gemacht und in dieser Hinsicht das ganze Werk auf eine wesentlich höhere Klarheitsstufe erhoben.

Von den fünf den ersten Teil des zweiten Bandes füllenden Untersuchungen behält die erste — "Ausdruck und Bedeutung" — auch in der neuen Ausgabe ihren "bloß vorbereitenden" Charakter. Sie gibt zu denken, sie lenkt den Blick des phänomenologischen Anfängers auf erste und bereits sehr schwierige Probleme des Bedeutungsbewußtseins, ohne ihnen aber schon voll gerecht zu werden. Die Art, wie sie sich mit den okkasionellen Bedeutungen (zu denen doch, genau besehen, diejenigen aller empirischen Prädikationen gehören) abfindet, ist ein Gewaltstreich — die notgedrungene Konsequenz der unvollkommenen Fassung des Wesens der "Wahrheit an sich" in den Prolegomena.

Als ein weiterer, erst im Abschluß des Bandes sich verstehender und berichtigender Mangel dieser Untersuchung ist zu erwähnen, daß der Unterschied und Parallelismus von "Noetischem" und "Noematischem" (über dessen fundamentale Rolle in allen Bewußtseinsgebieten erst die Ideen vollen Aufschluß geben, der aber schon in vielen Einzelausführungen der letzten Untersuchungen des alten Werkes zum Durchbruch gelangt) noch nicht berücksichtigt ist. Daher kommt auch der wesentliche Doppelsinn der "Bedeutung" als Idee nicht zur Abhebung. Einseitig wird der noetische Bedeutungsbegriff betont, während doch in manchen wichtigen Stellen der noematische vorzüglich in Betracht käme.

Die zweite Untersuchung über "Die ideale Einheit der Spezies und die modernen Abstraktionstheorien" hatte in ihrem Stil, aber auch in ihrer Beschränkung eine gewisse Abgeschlossenheit, die keine durchgreifenden Umgestaltungen, wenn auch viele einzelne Besserungen, wünschenswert machte. Nach wie vor bleiben unerörtert die grundwesentlich zu scheidenden Typen von "Ideen", denen natürlich grundwesentlich zu scheidende "Ideationen" entsprechen. Es kommt in dieser Untersuchung nur darauf an, daß man an einem Typus, etwa repräsentiert durch die Idee "rot", Ideen sehen und sich das Wesen solchen "Sehens" klarmachen lerne.

Eine sehr durchgreifende Umarbeitung hat die dritte Untersuchung "Zur Lehre von den Ganzen und Teilen" erfahren, obschon bei ihr keinerlei unbefriedigenden Kompromisse zu vollziehen, keine nachkommenden Berichtigungen oder Vertiefungen nötig waren. Hier galt es, dem eigenen Sinn der Untersuchung und ihren m.E. wichtigen Ergebnissen zu besserer Wirksamkeit zu verhelfen und vielfache Unvollkommenheiten der Ausführung zu beheben. Ich habe den Eindruck, daß diese Untersuchung allzuwenig gelesen worden ist. Mir selbst bot sie eine große Hilfe, wie sie ja auch eine wesentliche Voraussetzung für das volle Verständnis der folgenden Untersuchungen ist.

Ähnlich wie mit der dritten verhält es sich mit der vierten Untersuchung "Über den Unterschied der selbständigen und unselbständigen Bedeutungen und die Idee der reinen Grammatik". Mein Standpunkt hat sich auch hier nicht geändert. Der Text erfuhr neben Besserungen auch manche inhaltliche Bereicherung, die im voraus auf künftige Publikationen aus meinen logischen Vorlesungen hindeuten.

Tiefeingreifende Umarbeitungen hat die fünfte Untersuchung "Über intentionale Erlebnisse und ihre ’Inhalte’" erfahren müssen. In ihr sind kardinale Probleme der Phänomenologie (insbesondere der phänomenologischen Urteilslehre) in Angriff genommen, in Hinsicht auf welche, ohne daß der Aufbau und wesentliche Inhalt der Untersuchung geändert werden mußte, eine erheblich höhere Stufe der Klarheit und Einsicht erzielt werden konnte. Nicht mehr billige ich die Bestreitung des reinen Ich; doch ließ ich die bezüglichen Ausführungen in verkürzter und formell verbesserter Gestalt stehen, als Substrat interessanter polemischer Auseinandersetzungen P. Natorps (vgl. dessen neue Allgemeine Psychologie, Band I, 1912). Völlig weggestrichen habe ich den vielzitierten, wenig klaren und im Zusammenhang völlig entbehrlichen Paragraphen 7, "Wechselseitige Abgrenzung der Psychologie und Naturwissenschaft". Allzu konservativ war ich vielleicht nur insofern, als ich den ganz unpassenden Terminus "nominale Vorstellung" beibehielt, wie ich denn überhaupt die alte Terminologie des Werkes anzutasten mich scheute.

Für den zweiten Teil des zweiten Bandes ist die im Druck befindliche Neubearbeitung der sechsten Untersuchung bestimmt, der in phänomenologischer Beziehung wichtigsten. Bei ihr überzeugte ich mich bald, daß ich damit nicht mehr auskomme, den alten Gehalt, Paragraph für Paragraph der ursprünglichen DarStellung folgend, zu verarbeiten. Zwar soll auch ihr Problembestand allein maßgebend bleiben; aber ich bin in Beziehung auf denselben erheblich weiter gekommen, und auf Kompromisse möchte ich mich im Sinne meiner "Maximen" hierbei nicht mehr einlassen. Demgemäß verfuhr ich ganz frei und fügte, um die großen und in der ersten Ausgabe zu unvollkommen behandelten Themata wissenschaftlich durchzuführen, ganze Reihen neuer Kapitel ein, die den Umfang dieser Untersuchung in besonderem Maße anwachsen ließen.

Wie in den Prolegomena bin ich auch im zweiten Bande (mit einer geringen Ausnahme in der vierten Untersuchung) auf die vielen Kritiken nicht eingegangen, die, wie ich leider konstatieren muß, fast ausschließlich auf Mißverständnissen des Sinnes meiner Darstellungen beruhen. Für nützlicher habe ich es daher gehalten, in allgemeiner Form die typischen Mißverständnisse meiner philosophischen Bestrebungen und ihrer historischen Einordnungen zu besprechen, und zwar am Schlusse des zweiten Bandes, sozusagen als Nachwort. Der Leser wird gut tun, in diesen Anhang, schon nachdem er die Prolegomena gelesen hat, Einblick zu nehmen, um sich rechtzeitig vor solchen, wie es scheint, naheliegenden Mißverständnissen zu bewahren.

Dem Werke wird ein ausführlicher, von Herrn cand. phil. Rudolf Clemens mit großer Sorgfalt bearbeiteter Index beigegeben. Überhaupt habe ich für manche freundliche Beihilfe herzlich zu danken. In erster Linie Herrn Privatdozenten Dr. Adolf Reinach, der mir vor zwei Jahren, bei den ersten eingehenden Überlegungen für die Möglichkeiten einer Neubearbeitung, mit Eifer und Sachkunde zur Seite stand. Die Mühen der Korrektur sind durch die treue Mitwirkung der Herren Dr. Hans Lipps und cand. phil. Jean Hering wesentlich erleichtert worden.

Göttingen, im Oktober 1913.

E. Husserl.

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First Edition
(1975) "Vorwort zur zweiten Auflage", in: Husserl Edmund, Logische Untersuchungen. Erster Band, Den Haag, Nijhoff, pp.8-15.