Der Psychologismus als skeptischer Relativismus

Edmund Husserl

pp. 118-158


§ 32. Die idealen Bedingungen für die Möglichkeit einer Theorie überhaupt. Der strenge Begriff des Skeptizismus

Der schwerste Vorwurf, den man gegen eine Theorie, und zumal gegen eine Theorie der Logik, erheben kann, besteht darin, daß sie gegen die evidenten Bedingungen der Möglichkeit einer Theorie überhaupt verstoße. Eine Theorie aufstellen und in ihrem Inhalt, sei es ausdrücklich oder einschließlich, den Sätzen widerstreiten, welche den Sinn und Rechtsanspruch aller Theorie überhaupt begründen — das ist nicht bloß falsch, sondern von Grund aus verkehrt.

In doppelter Hinsicht kann man hier von evidenten "Bedingungen der Möglichkeit" jeder Theorie überhaupt sprechen. Fürs erste in subjektiver Hinsicht. Hier handelt es sich um die apriorischen Bedingungen, von denen die Möglichkeit der unmittelbaren und mittelbaren Erkenntnis* Ich bitte zu beachten, daß der Terminus Erkenntnis in diesem Werke nicht in der viel gebräuchlichen Einschränkung auf Reales verstanden wird. und somit die Möglichkeit der vernünftigen Rechtfertigung jeder Theorie abhängig ist. Die Theorie als Erkenntnisbegründung ist selbst eine Erkenntnis und hängt ihrer Möglichkeit nach von gewissen Bedingungen ab, die rein begrifflich in der Erkenntnis und ihrem Verhältnis zum erkennenden Subjekt gründen. Z.B.: Im Begriff der Erkenntnis im strengen Sinne liegt es, ein Urteil zu sein, das nicht bloß den Anspruch erhebt, die Wahrheit zu treffen, sondern auch der Berechtigung dieses Anspruches gewiß ist und diese Berechtigung auch wirklich besitzt. Wäre der Urteilende aber nie und nirgends in der Lage, diejenige Auszeichnung, welche die Rechtfertigung des Urteils ausmacht, in sich zu erleben und als solche zu erfassen, fehlte ihm bei allen Urteilen die Evidenz, die sie von blinden Vorurteilen unterscheidet, und die ihm die lichtvolle Gewißheit gibt, nicht bloß für wahr zu halten, sondern die Wahrheit selbst zu habenA: halten. — so wäre bei ihm von einer vernünftigen Aufstellung und Begründung der Erkenntnis, es wäre von Theorie und Wissenschaft keine Rede. Also verstößt eine Theorie gegen die subjektiven Bedingungen ihrer Möglichkeit als Theorie überhaupt, wenn sie, diesem Beispiel gemäß, jeden Vorzug des evidenten gegenüber dem blinden Urteil leugnet; sie hebt dadurch das auf, was sie selbst von einer willkürlichen, rechtlosen Behauptung unterscheidet.

Man sieht, daß unter subjektiven Bedingungen der Möglichkeit hier nicht etwa zu verstehen sind reale Bedingungen, die im einzelnen Urteilssubjekt oder in der wechselnden Spezies urteilender Wesen (z.B. der menschlichen) wurzeln, sondern ideale Bedingungen, die in der Form der Subjektivität überhaupt und in deren Beziehung zur Erkenntnis wurzeln. Zur Unterscheidung wollen wir von ihnen als von noetischen Bedingungen sprechen.

In objektiver Hinsicht betrifft die Rede von Bedingungen der Möglichkeit jeder Theorie nicht die Theorie als subjektive Einheit von Erkenntnissen, sondern Theorie als eine objektive, durch Verhältnisse von Grund und Folge verknüpfte Einheit von Wahrheiten bzw. Sätzen. Die Bedingungen sind hier all die Gesetze, welche rein im Begriffe der Theorie gründen — spezieller gesprochen, die rein im Begriffe der Wahrheit, des Satzes, des Gegenstandes, der Beschaffenheit, der Beziehung u. dgl., kurz in den Begriffen gründen, welche den Begriff der theoretischen Einheit wesentlich konstituieren. Die Leugnung dieser Gesetze ist also gleichbedeutend (äquivalent) mit der Behauptung, all die fraglichen Termini: Theorie, Wahrheit, Gegenstand, Beschaffenheit usw. entbehrten eines konsistenten Sinnes. Eine Theorie hebt sich in dieser objektiv-logischen Hinsicht auf, wenn sie in ihrem Inhalt gegen die Gesetze verstößt, ohne welche Theorie überhaupt keinen "vernünftigen" (konsistenten) Sinn hätte.

Ihre logischen Verstöße können in den Voraussetzungen, in den Formen der theoretischen Verbindung, endlich auch in der erwiesenen These selbst liegen. Am schroffsten ist die Verletzung der logischen Bedingungen offenbar dann, wenn es zum Sinne der theoretischen These gehört, diese Gesetze zu leugnen, von welchen die vernünftige Möglichkeit jeder These und jeder Begründung einer These überhaupt abhängig ist. Und ähnliches gilt auch für die noetischen Bedingungen und die gegen sie verstoßenden Theorien. Wir unterscheiden also (natürlich nicht in klassifikatorischer Absicht): falsche, absurde, logisch und noetisch absurde und endlich skeptische Theorien; unter dem letzteren Titel alle Theorien befassend, deren Thesen entweder ausdrücklich besagen oder analytisch in sich schließen, daß die logischen oder noetischen Bedingungen für die Möglichkeit einer Theorie überhaupt falsch sind.

Hiermit ist für den Terminus Skeptizismus ein scharfer Begriff und zugleich eine klare Sonderung in logischen und noetischen Skeptizismus gewonnen. Ihm entsprechen beispielsweise die antiken Formen des Skeptizismus mit Thesen der Art wie: Es gibt keine Wahrheit, es gibt keine Erkenntnis und Erkenntnisbegründung u. dgl. Auch der Empirismus, der gemäßigte nicht minder als der extreme, ist nach unseren früheren Ausführungen* Vgl. Kapitel V, Anhang zu den §§ und 26, S. 84 ff. ein Beispiel, das unserem prägnanten Begriffe entspricht. Daß es zum Begriff der skeptischen Theorie gehört, widersinnig zu sein, ist aus der Definition ohne weiteres klar.

§ 33. Skeptizismus in metaphysischem Sinne

Gewöhnlich wird der Terminus Skeptizismus einigermaßen vage gebraucht. Sehen wir von seinem populären Sinn ab, so nennt man skeptisch jedwede philosophischen Theorien, welche aus prinzipiellen Gründen eine erhebliche Einschränkung der menschlichen Erkenntnis dartun wollen, zumal wenn durch sie umfassende Sphären des realen Seins oder besonders wertgehaltene Wissenschaften (z.B. Metaphysik, Naturwissenschaft, Ethik als rationale Disziplinen) aus dem Gebiete möglicher Erkenntnis verbannt werden.

Unter diesen unechten Formen des Skeptizismus pflegt hauptsächlich die eine mit dem hier definierten, eigentlich erkenntnistheoretischen Skeptizismus vermengt zu werden, bei welcher es sich um die Beschränkung der Erkenntnis auf psychisches Dasein und die Leugnung der Existenz oder Erkennbarkeit von "Dingen an sich" handelt. Derartige Theorien sind aber offenbar metaphysische; sie haben an sich mit dem eigentlichen Skeptizismus nichts zu tun, ihre These ist von allem logischen und noetischen Widersinn frei, ihr Rechtsanspruch ist nur eine Frage der Argumente und Beweise. Vermengungen und echt skeptische Wendungen erwuchsen erst unter dem paralogistischen Einfluß naheliegender Äquivokationen oder anderweitig geförderter skeptischer Grundüberzeugungen. Faßt z.B. ein metaphysischer Skeptiker seine Überzeugung in die Form: "Es gibt keine objektive Erkenntnis" (sc. keine Erkenntnis von Dingen an sich); oder: "Alle Erkenntnis ist subjektiv" (sc. alle Tatsachen-Erkenntnis ist bloße Erkenntnis von Bewußtseinstatsachen), so ist die Verlockung groß, der Zweideutigkeit der Ausdrucksweise SubjektivObjektiv nachzugeben und für den ursprünglichen, dem eingenommenen Standpunkte angemessenen Sinn einen noetisch-skep-tischen unterzulegen. Aus dem Satze: "Alle Erkenntnis ist subjektiv" wird nun die total neue Behauptung: "Alle Erkenntnis als Bewußtseinserscheinung untersteht den Gesetzen menschlichen BewußtseinsA: Bewußtscmsgesetzen.; was wir Formen und Gesetze der Erkenntnis nennen, sind nichts weiter als "Funktionsformen des Bewußtseins" bzw. Gesetzmäßigkeiten dieser Funktionsformen — psychologische Gesetze." Wie nun (in dieser unrechtmäßigen Weise) der metaphysische Subjektivismus den erkenntnistheoretischen empfiehlt, so scheint auch in umgekehrter Richtung der letztere (wo er als für sich einleuchtend angenommen wird) ein kräftiges Argument für den ersteren abzugeben. Man schließt etwa: "Die logischen Gesetze, als Gesetze für unsere Erkenntnisfunktionen, ermangeln der "realen Bedeutung"; jedenfalls könnten wir nie und nirgends wissen, ob sie mit den etwaigen Dingen an sich harmonieren, die Annahme eines "Präformationssystems" wäre völlig willkürlich. Ist schon die Vergleichung der einzelnen Erkenntnis mit ihrem Gegenstande (zur Konstatierung der ad-aequatio rei et intellectus) durch den Begriff des Dinges an sich ausgeschlossen, so erst recht die Vergleichung der subjektiven Gesetzmäßigkeiten unserer Bewußtseinsfunktionen mit dem objektiven Sein der Dinge und ihren Gesetzen. Also wenn es Dinge an sich gibt, können wir von ihnen schlechterdings nichts wissen."

Metaphysische Fragen gehen uns hier nicht an, wir erwähnten sie nur, um gleich von vornherein der Vermengung zwischen metaphysischem und logisch-noetischem Skeptizismus zu begegnen.

§ 34. Der Begriff Relativismus und, seine Besonderungen

Für die Zwecke einer Kritik des Psychologismus müssen wir noch den Begriff des (auch in der besprochenen metaphysischen Theorie auftretenden) Subjektivismus oder Relativismus erörtern. Ein ursprünglicher Begriff ist umschrieben durch die Protagoreische Formel: "Aller Dinge Maß ist der Mensch", sofern wir sie in dem Sinne interpretieren: Aller Wahrheit Maß ist der individuelle Mensch. Wahr ist für einen jeden, was ihm als wahr erscheint, für den einen dieses, für den anderen das Entgegengesetzte, falls es ihm ebenso erscheint. Wir können hier also auch die Formel wählen: Alle Wahrheit (und Erkenntnis) ist relativ — relativ zu dem zufällig urteilenden Subjekt. Nehmen wir hingegen statt des Subjektes die zufällige Spezies urteilender Wesen als den Beziehungspunkt der Relation, so erwächst eine neue Form des Relativismus. Aller menschlichen Wahrheit Maß ist also der Mensch als solcher. Jedes Urteil, das im Spezifischen des Menschen, in den es konstituierenden Gesetzen wurzelt, ist — für uns Menschen — wahr. Sofern diese Urteile zur Form der allgemein menschlichen Subjektivität (des menschlichen "Bewußtseins überhaupt") gehören, spricht man auch hier von Subjektivismus (von dem Subjekt als letzter Erkenntnisquelle u. dgl.). Besser wählt man den Terminus Relativismus und unterscheidet den individuellen und spezifischen Relativismus; die einschränkende Beziehung auf die menschliche Spezies bestimmt den letzteren dann als Anthropologismus. — Wir wenden uns nun zur Kritik, deren sorgsamste Ausführung durch unsere Interessen geboten ist.

§ 35. Kritik des individuellen Relativismus

Der individuelle Relativismus ist ein so offenkundiger und, fast möchte ich sagen, frecher Skeptizismus, daß er, wenn überhaupt je, so gewiß nicht in neueren Zeiten ernstlich vertreten worden ist. Die Lehre ist, sowie aufgestellt, schon widerlegt — aber freilich nur für den, welcher die Objektivität alles Logischen einsieht. Den Subjektivisten, wie den ausdrücklichen Skeptiker überhaupt, kann man nicht überzeugen, wenn ihm nun einmal die Disposition mangelt einzusehen, daß Sätze, wie der vom Widerspruch, im bloßen Sinn der Wahrheit gründen, und daß ihnen gemäß die Rede von einer subjektiven Wahrheit, die für den einen diese, für den andern die entgegengesetzte sei, eben als widersinnige gelten müsse. Man wird ihn auch nicht durch den gewöhnlichen Einwand überzeugen, daß er durch die Aufstellung seiner Theorie den Anspruch erhebe, andere zu überzeugen, daß er also die Objektivität der Wahrheit voraussetze, die er in thesi leugne. Er wird natürlich antworten: Mit meiner Theorie spreche ich meinen Standpunkt aus, der für mich wahr ist und für niemand sonst wahr zu sein braucht. Selbst die Tatsache seines subjektiven Meinens wird er als bloß für sein eigenes Ich, nicht aber als an sich wahre behaupten.* Darin müßten ihm diejenigen recht geben, welche zwischen bloß subjektiven und objektiven Wahrheiten glauben scheiden zu dürfen, indem sie den Wahrnehmungsurteilen über die eigenen Bewußtseinserlebnisse den Charakter der Objektivität abstreiten: als ob das Für-mich-sein des Bewußtseinsinhalts nicht als solches zugleich ein An-sich-sein wäre; als ob die Subjektivität im psychologisch mit der Objektivität im logischen Sinne stritte! Aber nicht auf die Möglichkeit, den Subjektivisten persönlich zu überzeugen und zum Eingeständnis seines Irrtums zu bringen, sondern auf die, ihn objektiv gültig zu widerlegen, kommt es an. Widerlegung setzt aber als ihre Hebel gewisse einsichtige und damit allgemeingültige Überzeugungen voraus. Als solche dienen uns Normaldisponierten jene trivialen Einsichten, an welchen jeder Skeptizismus scheitern muß, sofern wir durch sie erkennen, daß seine Lehren im eigentlichsten und strengsten Sinne widersinnig sind: Der Inhalt ihrer Behauptungen leugnet das, was überhaupt zum Sinn oder Inhalt jeder Behauptung gehört und somit von keiner Behauptung sinngemäß abtrennbar ist.

§ 36. Kritik des spezifischen Relativismus und im besonderen des Anthropologismus

Können wir bei dem Subjektivismus zweifeln, ob er je in vollem Ernste vertreten worden sei, so neigt im Gegenteil die neuere und neueste Philosophie dem spezifischen Relativismus und näher dem Anthropologismus in einem Maße zu, daß wir nur ausnahmsweise einem Denker begegnen, der sich von den Irrtümern dieser Lehre ganz rein zu erhalten wußte. Und doch ist auch sie eine skeptische in der oben fixierten Bedeutung des Wortes, also mit den größtmöglichen Absurditäten behaftet, die bei einer Theorie überhaupt denkbar sind; auch bei ihr finden wir, nur wenig verhüllt, einen evidenten Widerspruch zwischen dem Sinn ihrer These und dem, was von keiner These als solcher sinngemäß abtrennbar ist. Es ist nicht schwierig, dies im einzelnen nachzuweisen.

1. Der spezifische Relativismus stellt die Behauptung auf: Wahr ist für jede Spezies urteilender Wesen, was nach ihrer Konstitution, nach ihren Denkgesetzen als wahr zu gelten habe. Diese Lehre ist widersinnig. Denn es liegt in ihrem Sinne, daß derselbe Urteilsinhalt (Satz) für den einen, nämlich für ein Subjekt der Spezies homo, wahr, für einen anderen, nämlich für ein Subjekt einer anders konstituierten Spezies, falsch sein kann. Aber derselbe Urteilsinhalt kann nicht beides, wahr und falsch, sein. Dies liegt in dem bloßen Sinne der Worte wahr und falsch. Gebraucht der Relativist diese Worte mit ihrem zugehörigen Sinn, so sagt seine These, was ihrem eigenen Sinn zuwider ist. Die Ausflucht, es sei der Wortlaut des herangezogenen Satzes vom Widerspruch, durch den wir den Sinn der Worte wahr und falsch entfalteten, unvollständig, es sei in ihm eben von menschlich wahr und menschlich falsch die Rede, ist offenbar nichtig. Ähnlich könnte ja auch der gemeine Subjektivismus sagen, die Rede von wahr und falsch sei ungenau, gemeint sei "für das einzelne Subjekt wahr bzw. falsch". Und natürlich wird man ihm antworten: Das evident gültige Gesetz kann nicht meinen, was offenbar widersinnig ist; und widersinnig ist in der Tat die Rede von einer Wahrheit für den oder jenen. Widersinnig ist die offengehaltene Möglichkeit, daß derselbe Urteilsinhalt (wir sagen in gefährlicher ÄquivokationA: Laxheit.: dasselbe Urteil) je nach dem Urteilenden beides, wahr und falsch, sei. Entsprechend wird nun auch die Antwort für den spezifischen Relativismus lauten: "Wahrheit für die oder jene Spezies", z.B. für die menschliche, das ist — so wie es hier gemeint ist — eine widersinnige Rede. Man kann sie allerdings auch in gutem Sinne gebrauchen; aber dann meint sie etwas total Verschiedenes, nämlich den Umkreis von Wahrheiten, die dem Menschen als solchem zugänglich, erkennbar sind. Was wahr ist, ist absolut, ist "an sich" wahr; die Wahrheit ist identisch eine, ob sie Menschen oder Unmenschen, Engel oder Götter urteilend erfassen. Von der Wahrheit in dieser idealen Einheit gegenüber der realen Mannigfaltigkeit von Rassen, Individuen und Erlebnissen sprechen die logischen Gesetze und sprechen wir alle, wenn wir nicht etwa relativistisch verwirrt sind.

2. Mit Rücksicht darauf, daß, was die Grundsätze vom Widerspruch und vom ausgeschlossenen Dritten besagen, zum bloßen Sinn der Worte wahr und falsch gehört, ließe sich der Einwand auch so fassen: Sagt der Relativist, es könnte auch Wesen geben, welche an diese Grundsätze nicht gebunden sind (und diese Behauptung ist, wie leicht zu sehen, mit der oben formulierten relativistischen äquivalent), so meint er entweder, es könnten in den Urteilen dieser Wesen Sätze und Wahrheiten auftreten, welche den Grundsätzen nicht gemäß sind; oder er meint, der Verlauf des Urteilens sei bei ihnen durch diese Grundsätze nicht psychologisch geregelt. Was das letztere anbelangt, so finden wir darin gar nichts Absonderliches, denn wir selbst sind solche Wesen. (Man erinnere sich an unsere Einwände gegen die psychologistischen Interpretationen der logischen Gesetze.) Was aber das erstere anbelangt, so würden wir einfach erwidern: Entweder es verstehen jene Wesen die Worte wahr und falsch in unserem Sinn; dann ist keine vernünftige Rede davon, daß die Grundsätze nicht gelten: sie gehören ja zu dem bloßen Sinn dieser Worte, und zwar wie wir sieA: ihn. verstehen. Wir würden in aller Welt nichts wahr oder falsch nennen, was ihnen widerstritte. Oder sie gebrauchen die Worte wahr und falsch in einem anderen Sinne, und dann ist der ganze Streit ein Wortstreit. Nennen sie z.B. Bäume, was wir Sätze nennen, dann gelten die Aussagen, in die wir Grundsätze fassen, natürlich nicht; aber sie verlieren dann ja auch den Sinn, in dem wir sie behaupten. Somit kommt der Relativismus darauf hinaus, daß er den Sinn des Wortes Wahrheit total ändert, aber doch Anspruch erhebt, von Wahrheit in dem Sinne zu sprechen, der durch die logischen Grundsätze festgelegt ist, und den wir alle, wo von Wahrheit die Rede ist, ausschließlich meinen. In einem Sinne gibt es nur eine Wahrheit, in äquivokem Sinne aber natürlich so viel "Wahrheiten", als man Äquivokationen zu schaffen liebt.

3. Die Konstitution der Spezies ist eine Tatsache; aus Tatsachen lassen sich immer wieder nur Tatsachen ableiten. Die Wahrheit relativistisch auf die Konstitution der Spezies gründen, das heißt also ihr den Charakter der Tatsache geben. Dies ist aber widersinnig. Jede Tatsache ist individuell, also zeitlich bestimmt. Bei der Wahrheit gibt die Rede von zeitlicher Bestimmtheit nur Sinn mit Beziehung auf eine durch sie gesetzte Tatsache (falls sie eben Tatsachenwahrheit ist), nicht aber mit Beziehung auf sieA: sich. selbst. Wahrheiten als Ursachen oder Wirkungen zu denken, ist absurd. Wir haben davon schon gesprochen. Wollte man sich darauf stützen, daß doch wie jedes Urteil auch das wahre aus der Konstitution des urteilenden Wesens auf Grund der zugehörigen Naturgesetze erwachse, so würden wir entgegnen: Man vermenge nicht das Urteil als Urteilsinhalt, d.i. als die ideale Einheit, mit dem einzelnen realen Urteilsakt. Die erstere ist gemeint, wo wir von dem Urteil "2x2 ist 4" sprechen, welches dasselbe ist, wer immer es fällt. Man vermenge auch nicht das wahre Urteil, als den richtigen, wahrheitsgemäßen Urteilsakt, mit der Wahrheit dieses Urteils oder mit dem wahren Urteilsinhalt. Mein Urteilen, daß 2 x 2 = 4 ist, ist sicherlich kausal bestimmt, nicht aber die Wahrheit: 2 X 2 = 4.

4. Hat (im Sinne des Anthropologismus) alle Wahrheit ihre ausschließliche Quelle in der allgemein menschlichen Konstitution, so gilt, daß wenn keine solche Konstitution bestände, auch keine Wahrheit bestände. Die Thesis dieser hypothetischen Behauptung ist widersinnig; denn der Satz "es besteht keine Wahrheit" ist dem Sinne nach gleichwertig mit dem Satze "es besteht die Wahrheit, daß keine Wahrheit besteht". Die Widersinnigkeit der Thesis verlangt eine Widersinnigkeit der Hypothesis. Als Leugnung eines gültigen Satzes von tatsächlichem Gehalt kann sie aber wohl falsch, niemals aber wider sinnig sein. In der Tat ist es noch niemandem beigefallen, dieA: den. bekannten geologischen und physikalischen Theorien, welche dem Menschengeschlechte in der Zeitlichkeit Anfang und Ende setzen, als absurd zu verwerfen. Folglich trifft der Vorwurf des Widersinns die ganze hypothetische Behauptung, da sie an eine dem Sinne nach einstimmige ("logisch mögliche") Voraussetzung eine widersinnige ("logisch unmögliche") Folge knüpft. Derselbe Vorwurf trifft dann den Anthropologismus und überträgt sich natürlich mutatis mutandis auf die allgemeinere Form des Relativismus.

5. Nach dem Relativismus könnte sich auf Grund der Konstitution einer Spezies die für sie gültige "Wahrheit" ergeben, daß solch eine Konstitution gar nicht existiere. Sollen wir also sagen, sie existiere in Wirklichkeit nicht, oder sie existiere, aber nur für uns Menschen? Wenn nun alle Menschen und alle Spezies urteilender Wesen bis auf die eben vorausgesetzte vergingen? Wir bewegen uns offenbar in Widersinnigkeiten. Der Gedanke, daß die Nichtexistenz einer spezifischen Konstitution ihren Grund habe in dieser selben Konstitution, ist der klare Widerspruch; die wahrheitgründende, also existierende Konstitution soll neben anderen Wahrheiten die ihrer eigenen Nichtexistenz begründen. — Die Absurdität ist nicht viel kleiner, wenn wir Existenz mit Nichtexistenz vertauschen und dementsprechend an Stelle jener fingierten, aber vom relativistischen Standpunkte aus möglichen Spezies, die menschliche zugrunde legen. Zwar jener Widerspruch, nicht aber der übrige mit ihm verwobene Widersinn verschwindet. Die Relativität der Wahrheit besagt, daß, was wir Wahrheit nennen, abhängig sei von der Konstitution der Spezies homo und den sie regierenden Gesetzen. Die Abhängigkeit will und kann nur als kausale verstanden sein. Also müßte die Wahrheit, daß diese Konstitution und diese Gesetze bestehen, ihre reale Erklärung daraus schöpfen, daß sie bestehen, wobei die Prinzipien, nach denen die Erklärung verliefe, mit eben diesen Gesetzen identisch wären — nichts als Widersinn. Die Konstitution wäre causa sui auf Grund von Gesetzen, die sich auf Grund von sich selbst kau-sieren würden usw.

6. Die Relativität der Wahrheit zieht die Relativität der Weltexistenz nach sich. Denn die Welt ist nichts anderes als die gesamte gegenständliche Einheit, welche dem idealen System aller Tatsachenwahrheit entspricht und von ihm untrennbarA: unabtrennbar. ist. Man kann nicht die Wahrheit subjektivieren und ihren Gegenstand (der nur ist, wenn die Wahrheit besteht)A: (der nur in und vermöge der Wahrheit ist). als absolut (an sich) seiend gelten lassen. Es gäbe also keine Welt an sich, sondern nur eine Welt für uns oder für irgendeine andere zufälligeZusatz von B. Spezies von Wesen. Das wird nun manchem trefflich passen; aber bedenklich mag er wohl werden, wenn wir darauf aufmerksam machen, daß zur Welt auch das Ich und seine Bewußtseinsinhalte gehören. Auch das "Ich bin" und "Ich erlebe dies und jenes" wäre eventuell falsch; gesetzt nämlich, daß ich so konstituiert wäre, diese Sätze auf Grund meiner spezifischen Konstitution verneinen zu müssen. Und es gäbe nicht bloß für diesen oder jenen, sondern schlechthin keine Welt, wenn keine in der Welt faktischeZusatz von B. Spezies urteilender Wesen so glücklich konstituiert wäre, eine Welt (und darunter sich selbst) anerkennen zu müssen. Halten wir uns an die einzigen Spezies, die wir tatsächlich kennen, die animalischen, so bedingte eine Änderung ihrer Konstitution eine Änderung der Welt, wobei freilich, nach allgemein angenommenen Lehren, die animalischen Spezies Entwicklungsprodukte der Welt sein sollen. So treiben wir ein artiges Spiel: Aus der Welt entwickelt sich der Mensch, aus dem Menschen die Welt; Gott schafft den Menschen, und der Mensch schafft Gott.

Der wesentliche Kern dieses Einwandes besteht darin, daß der Relativismus auch in evidentem Widerstreit ist mit der Evidenz des unmittelbar anschaulichen Daseins, d.i. mit der Evidenz der "inneren Wahrnehmung" in dem berechtigten, dann aber auch nicht entbehrlichen Sinne. Die Evidenz der auf Anschauung beruhenden Urteile wird mit Recht bestritten, sofern sie intentional über den Gehalt des faktischen Bewußtseinsdatums hinausgehen. Wirklich evident sind sie aber, wo ihre Intention auf ihn selbst geht, in ihm, wie er ist, die Erfüllung findet. Dagegen streitet nicht die Vagheit aller dieser Urteile (man denke nur an die für kein unmittelbares Anschauungsurteil aufhebbare Vagheit der Zeitbestimmung und evtl, auch Ortsbestimmung).

§ 37. Allgemeine Bemerkung. Der Begriff Relativismus in erweitertem Sinne

Die beiden Formen des Relativismus sind Spezialitäten des Relativismus in einem gewissen weitesten Sinn des Wortes, als einer Lehre, welche die rein logischen Prinzipien irgendwie aus Tatsachen ableitet. Tatsachen sind "zufällig", sie könnten ebensogut auch nicht sein, sie könnten anders sein. Also andere Tatsachen, andere logische Gesetze; auch diese wären also zufällig, sie wären nur relativ zu den sie begründenden Tatsachen. Demgegenüber will ich nicht bloß auf die apodiktische Evidenz der logischen Gesetze hinweisen, und was wir sonst in den früheren Kapiteln geltend gemacht haben, sondern auch auf einen anderen, hier bedeutsameren Punkt.* Vgl. den einleitenden § 32 dieses Kapitels, S. 110 ff. Ich verstehe, wie man schon aus dem Bisherigen entnimmt, unter rein logischen Gesetzen alle die Idealgesetze, welche rein im Sinne (im "Wesen", "Inhalt") der Begriffe Wahrheit, Satz, Gegenstand, Beschaffenheit, Beziehung, Verknüpfung, Gesetz, Tatsache usw. gründen. Allgemeiner gesprochen, sie gründen rein im Sinne der Begriffe, welche zum Erbgut aller Wissenschaft gehören, weil sie die Kategorien von Bausteinen darstellen, aus welchen die Wissenschaft als solche, ihrem Begriffe nach, konstituiert ist. Gesetze dieser Art darf keine theoretische Behauptung, keine Begründung und Theorie verletzen; nicht bloß weil sie sonst falsch wäre — dies wäre sie auch durch Widerstreit gegen eine beliebige Wahrheit — sondern weil sie in sich widersinnig wäre. Z.B. eine Behauptung, deren Inhalt gegen Prinzipien streitet, die im Sinne der Wahrheit als solcher gründen, "hebt sich selbst auf". Denn behaupten ist aussagen, daß der und jener Inhalt in Wahrheit sei. Eine Begründung, die inhaltlich gegen die Prinzipien streitet, die im Sinne der Beziehung von Grund und Folge gründen, hebt sich selbst auf. Denn begründen heißt wieder aussagen, daß diese oder jene Beziehung von Grund und Folge bestehe usw. Eine Behauptung "hebt sich selbst auf", sie ist "logisch widersinnig", das heißt, ihr besonderer Inhalt (Sinn, Bedeutung) widerspricht dem, was die ihm zugehörigen Bedeutungskategorien allgemein fordern, was in ihrer allgemeinen Bedeutung allgemein gegründet ist. Es ist nun klar, daß in diesem prägnanten Sinne jede Theorie logisch widersinnig ist, welche die logischen Prinzipien aus irgendwelchen Tatsachen ableitet. Dergleichen streitet mit dem allgemeinen Sinn der Begriffe "logisches Prinzip" und "Tatsache"; oder um genauer und allgemeiner zu sprechen: der Begriffe "Wahrheit, die in dem bloßen Inhalt von Begriffen gründet" und "Wahrheit über individuelles Dasein". Man sieht auch leicht, daß die Einwände gegen die oben diskutierten relativistischen Theorien der Hauptsache nach auch den Relativismus im allgemeinsten Sinne beträfen.

§ 38. Der Psychologismus in allen seinen Formen ein Relativismus

Den Relativismus haben wir bekämpft, den Psychologismus haben wir natürlich gemeint. In der Tat ist der Psychologismus in allen seinen Abarten und individuellen Ausgestaltungen nichts anderes als Relativismus, nur nicht immer erkannter und ausdrücklich zugestandener. Es ist dabei ganz gleich, ob er sich auf "Transzendentalpsychologie" stützt und als formaler Idealismus die Objektivität der Erkenntnis zu retten glaubt, oder ob er sich auf empirische Psychologie stützt und den Relativismus als unvermeidliches Fatum auf sich nimmt.

Jede Lehre, welche die rein logischen Gesetze entweder nach Art der Empiristen als empirisch-psychologische Gesetze faßt oder sie nach Art der Aprioristen mehr oder minder mythisch zurückführt auf gewisse "ursprüngliche Formen" oder "Funktionsweisen" des (menschlichen) Verstandes, auf das "Bewußtsein überhaupt" als (menschliche) "Gattungsvernunft", auf die "psychophysische Konstitution" des Menschen, auf den "intellec-tus ipse", der als angeborene (allgemein menschliche) Anlage dem faktischen Denken und aller Erfahrung vorhergeht, u. dgl. — ist eo ipso relativistisch, und zwar von der Art des spezifischen Relativismus. Alle Einwände, die wir gegen ihn erhoben haben, treffen auch sie. Selbstverständlich muß man aber die zum Teil schillernden Schlagwörter des Apriorismus, z.B. Verstand, Vernunft, Bewußtsein, in jenem natürlichen Sinne nehmen, der ihnenA: ihr. eine wesentliche Beziehung zur menschlichen Spezies verleiht. Es ist der Fluch der hierhergehörigen Theorien, daß sie ihnen bald diese reale und bald eine ideale Bedeutung unterlegen und so ein unerträgliches Gewirr teils richtiger, teils falscher Sätze ineinanderflechten. Jedenfalls dürfen wir die aprioristischen Theorien, soweit sie relativistischen Motiven Raum gönnen, auch dem Relativismus zurechnen. Allerdings, wenn ein Teil der kantianisieren-den Forscher einige logische Grundsätze als Prinzipien "analytischer Urteile" aus dem Spiel läßt, so beschränkt sich auch ihr Relativismus (sc. auf das Gebiet der mathematischen und Naturerkenntnis); aber den skeptischen Absurditäten entgehen sie dadurch nicht. Bleiben sie doch in dem engeren Kreise dabei, die Wahrheit aus dem allgemeinen Menschlichen, also das Ideale aus dem Realen, spezieller: die Notwendigkeit der Gesetze aus der Zufälligkeit von Tatsachen herzuleiten.

Doch hier interessiert uns noch mehr die extremere und konsequentere Form des Psychologismus, die von solcher Einschränkung nichts weiß. Ihr gehören die Hauptvertreter der englischen empiristischen, sowie der neueren deutschen Logik an, also Forscher wie Mill, Bain, Wundt, Sigwart, Erdmann und Lipps. Auf alle hiergehörigen Werke kritische Rücksicht zu nehmen, ist weder möglich noch wünschenswert. Doch darf ich, den reformatorischen Zielen dieser Prolegomena zu genügen, nicht die führenden Werke der modernen deutschen Logik übergehen, vor allem nicht Sigwarts bedeutendes Werk, das wie kein zweites die logische Bewegung der letzten Jahrzehnte in die Bahn des Psychologismus gelenkt hat.

§ 39. Der Anthropologismus in Sigwarts Logik

Vereinzelte Ausführungen von psychologistischem Klang und Charakter finden wir als vorübergehende Mißverständnisse auch bei Denkern, welche in ihren logischen Arbeiten eine bewußt anti-psychologistische Richtung vertreten. Anders bei Sigwart. Der Psychologismus ist bei ihm nicht eine unwesentliche und abfällbare Beimischung, sondern die systematisch herrschende Grundauffassung. Ausdrücklich leugnet er gleich eingangs seines Werkes, "daß die Normen der Logik (die Normen, also nicht bloß die technischen Regeln der Methodenlehre, sondern auch die rein logischen Sätze, der Satz des Widerspruches, des Grundes usw.) erkannt werden können anders, als auf Grundlage des Studiums der natürlichen Kräfte und Funktionsformen, welche durch jene Normen geregelt werden sollen."* Sigwart, Logik, I2, S. 22. Und dem entspricht auch die ganze Behandlungsweise der Disziplin. Sie zerfällt nach Sigwart in einen analytischen, einen gesetzgebenden und einen technischen Teil. Sehen wir von dem letzten, uns hier nicht interessierenden ab, so hat der analytische Teil "das Wesen der Funktion zu erforschen, für welche die Regeln gesucht werden sollen". Auf ihn baut sich der gesetzgebende Teil, der die "Bedingungen und Gesetze ihres normalen Vollzuges"** a. a. O., § 4, S. 16. aufzustellen hat. Die "Forderung, daß unser Denken notwendig und allgemein gültig sei", ergibt, "an die nach allen ihren Bedingungen und Faktoren erkannte Funktion des Urteils" gehalten, "bestimmte Normen, welchen das Urteilen genügen muß". Und zwar konzentrieren sie sich in zwei Punkten: "Erstens, daß die Elemente des Urteils durchgängig bestimmt, d.h. begrifflich fixiert sind; und zweitens, daß der Urteilsakt selbst auf notwendige Weise aus seinen Voraussetzungen hervorgehe. Damit fällt in diesen Teil die Lehre von den Begriffen und Schlüssen als Inbegriff normativer Gesetze für die Bildung vollkommener Urteile."*** a. a. 0" S. f. Mit anderen Worten, in diesen Teil gehören alle rein logischen Prinzipien und Lehrsätze (soweit sie überhaupt in den Gesichtskreis der traditionellen, wie der Sigwartschen Logik fallen), und darnach haben sie für Sigwart in der Tat eine psychologische Fundierung.

Hiermit stimmt auch die Einzelausführung. Nirgends werden die rein logischen Sätze und Theorien und die objektiven Elemente, aus denen sie sich konstituieren, aus dem Flusse erkenntnis-psychologischer und erkenntnis-praktischer Forschung ausgelöst. Immer wieder ist von unserem Denken und seinen Funktionen gerade dort die Rede, wo es gilt, im Gegensatz zu den psychologischen Zufälligkeiten, die logische Notwendigkeit und ihre ideale Gesetzmäßigkeit zu charakterisieren. Reine Grundsätze, wie der vom Widerspruch, vom Grunde, werden wiederholt als "Funktionsgesetze" oder als "fundamentale Bewegungsformen unseres Denkens"* a. a. O., S. 184. Vgl. auch den ganzen Zusammenhang S. 184 f. u. dgl. bezeichnet. Beispielsweise lesen wir: "So gewiß die Verneinung in einer über das Seiende hinausgreifenden Bewegung des Denkens wurzelt, welche auch das Unvereinbare aneinander mißt, so gewiß kann Aristoteles mit seinem Prinzip nur die Natur unseres Denkens treffen wollen."** a. a. O., S. 253. "Die absolute Gültigkeit des Prinzips des Widerspruchs und infolge davon der Sätze, welche eine contradictio in adjecto verneinen", ruht, so finden wir an einer anderen Stelle, "auf dem unmittelbaren Bewußtsein, daß wir immer dasselbe tun und tun werden, wenn wir verneinen ..."*** a. a. O., S. 386. Ähnliches gilt nach Sigwart für den Satz der Identität (als "Prinzip der Übereinstimmung") und jedenfalls auch für alle rein begrifflichen und spezieller rein logischen Sätze.**** Vgl. a. a. 0.,S. 411: "Diese Sätze müßten a priori gewiß sein, in dem Sinne, daß wir in ihnen nur einer konstanten und unabweislichen Funktion unseres Denkens bewußt würden ..." Ich darf diese Stelle zitieren, obschon sie im Zusammenhang nicht unmittelbar auf die logischen Grundsätze bezogen ist. Dazu berechtigt der gesamte Sinn der Ausführungen (sub 2, § 48) und der ausdrücklich vergleichende Hinweis auf den Satz vom Widerspruch auf derselben zitierten Seite. Wir hören Äußerungen wie die folgende: "Leugnet man ... die Möglichkeit, etwas zu erkennen, wie es an sich ist; ist das Seiende nur einer der Gedanken, die wir produzieren: so gilt doch das, daß wir eben denjenigen Vorstellungen die Objektivität beilegen, die wir mit dem Bewußtsein der Notwendigkeit produzieren, und daß, sobald wir etwas als seiend setzen, wir eben damit behaupten, daß alle anderen, wenn auch nur hypothetisch angenommenen, denkenden Wesen von derselben Natur wie wir es mit derselben Notwendigkeit produzieren müßten."***** a. a. O., S. 7 f.

Dieselbe anthropologistische Tendenz zieht sich durch alle Ausführungen, welche sich auf die logischen Grundbegriffe und zunächst auf den Begriff der Wahrheit beziehen. Es ist z.B. nach Sigwart "eine Fiktion ... als könne ein Urteil wahr sein, abgesehen davon, daß irgendeine Intelligenz dieses Urteil denkt". So kann doch nur sprechen, wer die Wahrheit psychologistisch umdeutet. Nach Sigwart wäre es also auch eine Fiktion, von Wahrheiten zu sprechen, die an sich gelten und doch von niemand erkannt sind, z.B. von solchen, welche die menschliche Erkenntnisfähigkeit überschreiten. Zum mindesten der Atheist dürfte so nicht sprechen, der an übermenschliche Intelligenzen nicht glaubt, und wir selbst erst nach dem Beweise für die Existenz solcher Intelligenzen. Das Urteil, das die Gravitationsformel ausdrückt, wäre vorIn A gesperrt. Newton nicht wahr gewesen. Und so wäre es, genau besehen, eigentlich widerspruchsvoll und überhaupt falsch: Offenbar gehört ja die unbedingte Geltung für alle Zeit mit zur Intention seiner Behauptung.

Ein näheres Eingehen auf die mannigfachen Ausführungen Sigwarts über den Begriff der Wahrheit würde größere Umständlichkeit erfordern, die wir uns hier versagen müssen. Es würde jedenfalls bestätigen, daß wir die oben zitierte Stelle in der Tat beim Wort nehmen dürfen. Für Sigwart löst sich die Wahrheit in Bewußtseinserlebnisse auf, und somit ist trotz aller Rede von einer objektiven Wahrheit die echte Objektivität derselben, die in ihrer überempirischen Idealität ruht, aufgegeben. Die Erlebnisse sind reale Einzelheiten, zeitlich bestimmt, werdend und vergehend. Die Wahrheit aber ist "ewig" oder besser: sie ist eine Idee, und als solche überzeitlich. Es hat keinen Sinn, ihr eine Stelle in der Zeit oder eine, sei es auch durch alle Zeiten sich hindurcherstreckende Dauer anzuweisen. Allerdings sagt man auch von der Wahrheit, daß sie uns gelegentlich "zum Bewußtsein komme" und so von uns "erfaßt", "erlebt" werde. Aber von Erfassen, Erleben und Bewußtwerden ist hier, in Beziehung auf dieses ideelle Sein, in ganz anderem Sinne die Rede, als in Beziehung auf das empirische, d.i. das individuell vereinzelte Sein. Die Wahrheit "erfassen" wir nicht wie einen empirischen Inhalt, der im Flusse psychischer Erlebnisse auftaucht und wieder verschwindet; sie ist nicht Phänomen unter Phänomenen, sondern sie ist Erlebnis in jenem total geänderten Sinn, in dem ein Allgemeines, eine Idee ein Erlebnis ist. Bewußtsein haben wir von ihr, so wie wir von einer Spezies, z.B. von "dem" Rot, im allgemeinen Bewußtsein haben.

Ein Rotes haben wir vor Augen. Aber das Rote ist nicht die Spezies Rot. Das Konkretum hat die Spezies auch nicht als ("psychologischen", "metaphysischen") Teil in sich. Der Teil, dies unselbständige Rotmoment, ist wie das konkrete Ganze ein Individuelles, ein Hier und Jetzt, mit und in ihm bestehend und vergehend, in verschiedenen roten Objekten gleich, nicht identisch. Die Röte aber ist eine ideale Einheit, bei der die Rede von Entstehen und Vergehen widersinnig ist. Jener Teil ist nicht Röte, sondern ein Einzelfall von Röte. Und wie die Gegenstände verschieden sind, die allgemeinen verschieden von den einzelnen, so auch die Akte der Erfassung. Es ist etwas total Verschiedenes, im Hinblick auf das anschauliche Konkretum die empfundene Röte, diesen hier und jetzt seienden Einzelzug zu meinenIn A folgt: (wie in der psychologischen Analyse). , und wieder die Spezies Röte zu meinen (wie in der Aussage: die Röte ist eine Farbe). Und so, wie wir, auf das Konkret-Einzelne hinblickend, doch nicht dieses, sondern das Allgemeine, die Idee meinen, so gewinnen wir im Hinblick auf mehrere Akte solcher Ideation die evidente Erkenntnis von der Identität dieser idealen, in den einzelnen Akten gemeinten Einheiten. Und es ist Identität im echten und strengsten Sinne: es ist dieselbe Spezies, oder es sind Spezies derselben Gattung u. dgl.

So ist nun auch die Wahrheit eine Idee, wir erleben sie wie jede andere Idee in einem Akte auf Anschauung gegründeter Ideation (es ist dies hier natürlich der Akt der Einsicht) und gewinnen auch von ihrer identischen Einheit gegenüber einer verstreuten Mannigfaltigkeit von konkreten Einzelfällen (d.i. hier von evidenten Urteilsakten) in der Vergleichung Evidenz. Und wie das Sein oder Gelten von Allgemeinheiten auch sonst den Wert von idealen Möglichkeiten besitzt — nämlich in Hinsicht auf das mögliche Sein von empirischen Einzelheiten, die unter jene Allgemeinheiten fallen — so sehen wir dasselbe auch hier: die Aussagen "die Wahrheit gilt" und "es sind denkende Wesen möglich, welche Urteile des bezüglichen Bedeutungsgehaltes einsehen", sind von gleichem Werte. Gibt es keine intelligenten Wesen, sind sie durch die Naturordnung ausgeschlossen, also real unmöglich — oder gibt es für gewisse Wahrheitsklassen keine Wesen, die ihrer Erkenntnis fähig sind — dann bleiben diese idealen Möglichkeiten ohne erfüllende Wirklichkeit; das Erfassen, Erkennen, Bewußtwerden der Wahrheit (bzw. gewisser Wahrheitsklassen) ist dann nie und nirgend realisiert. Aber jede Wahrheit an sich bleibt, was sie ist, sie behält ihr ideales Sein. Sie ist nicht "irgendwo im Leeren", sondern ist eine Geltungseinheit im unzeitlichen Reiche der Ideen. Sie gehört zum Bereich des absolut Geltenden, in den wir zunächst all das einordnen, von dessen Geltung wir Einsicht haben oder zum mindesten begründete Vermutung, und zu dem wir weiterhin auch den für unser Vorstellen vagen Kreis des indirekt und unbestimmt als geltend Vermuteten rechnen, also dessen, was gilt, während wir es noch nicht erkannt haben und vielleicht niemals erkennen werden.

In diesen Beziehungen dringt Sigwart, wie mir scheinen will, zu einer klaren Position nicht durch. Die Objektivität der Wahrheit möchte er retten und sie in dem subjektivistischen Phänomenalismus nicht untersinken lassen. Fragen wir aber nach dem Wege, auf dem Sigwarts psychologische Erkenntnistheorie zur Objektivität der Wahrheit glaubt durchdringen zu können, so stoßen wir auf Äußerungen wie die folgende: "Die Gewißheit, daß es bei einem Urteile bleibt, daß die Synthese unwiderruflich ist, daß ich immer dasselbe sagen werde* Kann ich das je mit Sicherheit behaupten? Die Unwiderruflichkeit betrifft nicht das Faktische, sondern das Ideale. Nicht "die Gewißheit des Urteils ist eine unveränderliche" (wie es bei Sigwart kurz vorher heißt), sondern eben die Gültigkeit bzw. Wahrheit. — diese Gewißheit kann nur dann vorhanden sein, wenn erkannt ist, daß die Gewißheit nicht auf momentanen und mit der Zeit wechselnden psychologischen Motiven ruht, sondern auf etwas, was jedesmal, wenn ich denke, unabänderlich dasselbe und von allem Wechsel unberührt ist; und dies ist einerseits mein Selbstbewußtsein selbst, die Gewißheit Ich bin und denke, die Gewißheit Ich bin Ich, derselbe, der jetzt denkt und früher gedacht hat, der dieses und jenes denkt; und andererseits das, worüber ich urteile, das Gedachte selbst nach seinem gleichbleibenden, von mir in seiner Identität anerkannten Inhalt, der ganz unabhängig von den individuellen Zuständen des Denkenden ist."* a. a. O., § 39, 2, S. 310.

Ein konsequent relativistischer Psychologismus wird hier natürlich antworten: Nicht bloß das von Individuum zu Individuum Wechselnde, sondern auch das in allen Konstante, also der überall gleichbleibende Inhalt und die ihn beherrschenden konstanten Funktionsgesetze sind psychologische Tatsachen. Gibt es solche allen Menschen wesentlich gemeinsamen Züge und Gesetze, so machen sie das Spezifische der menschlichen Natur aus. Demnach hat alle Wahrheit als Allgemeingültigkeit Beziehung zur menschlichen Spezies, oder allgemeiner, zur jeweiligen Spezies denkender Wesen. Andere Spezies — andere Denkgesetze, andere Wahrheiten.

WirIn A gesperrt. unsererseits würden nun aber sagen: Allgemeingleichheit nach Inhalt und konstanten Funktionsgesetzen (als Naturgesetzen für die Erzeugung des allgemeingleichen Inhalts) macht keine echte Allgemeingültigkeit, die vielmehr in der Idealität ruht. Sind alle Wesen einer Gattung ihrer Konstitution nach zu gleichen Urteilen genötigt, so stimmen sie miteinander empirisch überein; aber im idealen Sinne der über alles Empirische erhabenen Logik können sie dabei doch statt einstimmig vielmehr widersinnig urteilen. Die Wahrheit durch Beziehung auf die Gemeinsamkeit der Natur bestimmen, heißt ihren Begriff aufgeben. Hätte die Wahrheit eine wesentliche Beziehung zu denkenden Intelligenzen, ihren geistigen Funktionen und Bewegungsformen, so entstände und verginge sie mit ihnen, und wenn nicht mit den Einzelnen, so mit den Spezies. Wie die echte Objektivität der Wahrheit wäre auch die des Seins dahin, selbst die des subjektiven Seins, bzw. des Seins der Subjekte. Wie wenn z.B. die denkenden Wesen insgesamt unfähig wären, ihr eigenes Sein als wahrhaft seiend zu setzen? Dann wären sie und wären auch nicht. Wahrheit und Sein sind beide im gleichen Sinne "Kategorien" und offenbar korrelativ. Man kann nicht Wahrheit relativieren und an der Objektivität des Seins festhalten. Freilich setzt die Relativierung der Wahrheit doch wieder ein objektives Sein als Beziehungspunkt voraus — darin liegt ja der relativistische Widerspruch.

In Harmonie mit Sigwarts sonstigem Psychologismus finden wir seine Lehre vom Allgemeinen, die hierher gehört, da die Idealität der Wahrheit durchaus die Idealität des Allgemeinen, des Begrifflichen voraussetzt. Gelegentlich lesen wir die scherzhafte Äußerung, "das Allgemeine als solches [existiere] nurA: sei. Die Veränderung in B entspricht dem zitierten Original und den "Berichtigungen" zu A. in unserem Kopfe",* a. a. O., S. 103, Anm.┐2Zusatz von B entsprechend den "Berichtigungen" zu A. und in ernsthafter Ausführung, das "begrifflich Vorgestellte" sei "ein rein inneres, ... von nichts als von der inneren Kraft unseres Denkens abhängiges".** a. a. O., § 45, 9, S. 388. Unzweifelhaft kann man dergleichen von unserem begrifflichen Vorstellen sagen, als einem subjektiven Akt von dem und dem psychologischen Gehalt. Aber das "Was" dieses Vorstellens, der Begriff, kann in keinem Sinne als reelles Stück des psychologischen Gehalts gefaßt werden, als ein Hier und Jetzt mit dem Akte kommend und verschwindend. Es kann im Denken gemeint, aber nicht im Denken erzeugt sein.

Dieselbe Relativierung wie bei dem Wahrheitsbegriff vollzieht Sigwart konsequenterweise auch bei den mit jenem so nahe zusammenhängenden Begriffen Grund und Notwendigkeit. "Ein logischer Grund, den wir nicht kennen, ist strenge genommen, ein Widerspruch, denn er wird erst ein logischer Grund dadurch, daß wir ihn kennen."*** a. a. O., § 32, 2, S. 248. Die Aussage, daß die mathematischen Lehrsätze ihren Grund haben in den mathematischen Axiomen, beträfe also "streng genommen" eine Sachlage von menschlich-psychologischem Inhalt. Dürften wir noch behaupten, daß sie gilt, ob überhaupt jemand ist, gewesen ist und sein wird, der sie erkennt? Die gewöhnliche Rede, welche solchen Verhältnissen zwischen Grund und Folge Objektivität verleiht, indem sie von ihrer Entdeckung spricht, wäre danach eine verkehrte.

So sehr sich Sigwart bemüht, die wesentlich unterschiedenen Begriffe des Grundes zu sondern, und so viel Scharfsinn er darin bekundet (wie wir dies bei einem so bedeutenden Forscher nicht anders erwarten können), die psychologistische Richtung seines Denkens hindert ihn doch, die wesentlichste Scheidung zu vollziehen, welche eben die scharfe Sonderung zwischen Idealem und Realem voraussetzt. Wenn er den "logischen Grund" oder "Grund der Wahrheit" dem "psychologischen Grund der Gewißheit" gegenüberstellt, so findet er ihn doch nur in einer gewissen Allgemeingleichheit des Vorgestellten, "weil nur dieses, nicht die individuelle Stimmung usw. ein für alle Gemeinsames sein kann"; wogegen wir unsere obigen Bedenken nicht zu wiederholen brauchen.

Die fundamentale Sonderung zwischen Grund der Wahrheit, der das rein Logische, und Grund des Urteils, der das normativ Logische angeht, müssen wir bei Sigwart vermissen. Auf der einen Seite hat eine Wahrheit (nicht das Urteil, sondern die ideale Geltungseinheit) einen Grund, das heißt hier, in äquivalenter Redeweise, es gibt einen theoretischen Beweis, der sie auf ihre (objektiven, theoretischen) Gründe zurückführt. Einzig und allein auf diesen Sinn bezieht sich der Satz vom Grunde. Und für diesen Begriff des Grundes gilt es durchaus nicht, daß jedes Urteil einen Grund habe, geschweige denn, daß jedes einen solchen "implicite mitbehaupte". Jedes letzte Begründungsprinzip, also jedes echte Axiom, ist in diesem Sinne grundlos, wie in entgegengesetzter Richtung auch jedes Tatsachenurteil. Nur die Wahrscheinlichkeit einer Tatsache kann begründet sein, nicht sie selbst bzw. das Tatsachenurteil. Auf der anderen Seite meint der Ausdruck "Grund des Urteils" — wofern wir absehen von den psychologischen "Gründen", d. i. Ursachen der Urteilsfällung und speziell auch von den inhaltlichen Motiven derselben* Vgl. Sigwarts treffliche Sonderung zwischen Veranlassung der Verknüpfung und Grund der Entscheidung, a. a. O., S. 250. —nichts anderes als logisches Recht des Urteils. In diesem Sinne "beansprucht" jedes Urteil allerdings sein Recht (obschon es nicht unbedenklich wäre zu sagen, daß es "implicite mitbehauptet" würde). Das heißt: an jedes ist die Forderung zu stellen, daß es als wahr behaupte, was wahr sei; und als Techniker der Erkenntnis, als Logiker im gewöhnlichen Sinne, müssen wir an das Urteil auch mit Beziehung auf die weitergehende Erkenntnisbewegung mancherlei Forderungen stellen. Sind sie nicht erfüllt, so tadeln wir das Urteil als logisch unvollkommen, als "unbegründet"; letzteres allerdings mit einer gewissen Überspannung des gemeinen Wortsinns.

Ähnliche Bedenken erregen uns Sigwarts Ausführungen über Notwendigkeit. Wir lesen: "Aller logischen Notwendigkeit [muß] doch zuletzt ein seiendes denkendes Subjekt, dessen Natur es ist, so zu denken, vorausgesetzt werden, solange wir verständlich reden wollen."* a. a. O., § 33, 7, S. 262. Oder man verfolge die Ausführungen über den Unterschied der assertorischen und apodiktischen Urteile, den Sigwart für einen unwesentlichen erachtet, "sofern in jedem mit vollkommenem Bewußtsein ausgesprochenen Urteil die Notwendigkeit, es auszusprechen, mitbehauptet werde".** a. a. O., § 31, 1, S. 230 ff. Die total verschiedenen Begriffe von Notwendigkeit ermangeln bei Sigwart der wechselseitigen Absonderung. Die subjektive Notwendigkeit, d.h. der subjektive Zwang der Überzeugung, welcher jedem Urteil anhaftet (oder vielmehr bei jedem Urteil dann hervortritt, wenn wir, von ihm noch durchdrungen, sein Gegenteil zu vollziehen suchen), wird nicht klar unterschieden von den ganz anderen Notwendigkeitsbegriffen, zumal von der apodiktischen Notwendigkeit, als dem eigenartigen Bewußtsein, in dem sich das einsichtige Erfassen eines Gesetzes oder eines Gesetzmäßigen konstituiert. Dieser letztere (eigentlich zwiefache) Begriff von Notwendigkeit fehlt bei Sigwart im Grunde genommen ganz. Zugleich übersieht er die fundamentale Äquivokation, welche es gestattet, nicht bloß das apodiktische Notwendigkeitsbewußtsein, sondern sein objektives Korrelat — nämlich das Gesetz, bzw. das Gelten gemäß dem Gesetze, von dem wir in jenem Bewußtsein Einsicht haben — als notwendig zu bezeichnen. So erst gewinnen ja die Ausdrücke "es ist eine Notwendigkeit" und "es ist ein Gesetz" ihre objektive Gleichwertigkeit, und desgleichen die Ausdrücke "es ist notwendig", daß SP sei, und "es ist nach Gesetzen begründet", daß SP sei.

Und natürlich ist es dieser letzte rein objektive und ideale Begriff, der allen apodiktischen Urteilen im objektiven Sinne der reinen Logik zugrunde liegt; er allein beherrscht und konstituiert alle theoretische Einheit, er bestimmt die Bedeutung des hypothetischen Zusammenhanges als einer objektiv-idealen Wahrheitsform von Sätzen, er bindet den Schlußsatz als "notwendige" (ideal-gesetzliche) Folge an die Prämissen.

Wie wenig Sigwart diesen Unterschieden gerecht wird, wie sehr er im Psychologismus befangen ist, das zeigen zumal seine Auseinandersetzungen über Leibnizens fundamentale Scheidung in "vérités de raison et celles de fait". Die "Notwendigkeit" beider Arten ist, meint Sigwart, "zuletzt eine hypothetische", denn "daraus, daß das Gegenteil einer tatsächlichen Wahrheit nicht a priori unmöglich ist, folgt nicht, daß es für mich nicht notwendig wäre, das Faktum zu behaupten, nachdem es geschehen ist, und daß die entgegengesetzte Behauptung für den möglich wäre, der das Faktum kennt";* a. a. O., § 31, 6, S. 239 f. und wieder: "auf der anderen Seite ist das Haben der allgemeinen Begriffe, auf denen die identischen Sätze ruhen, zuletzt ebenso etwas Faktisches, was da sein muß, ehe das Prinzip der Identität darauf angewandt werden kann, um ein notwendiges Urteil zu erzeugen". Und so glaubt er schließen zu dürfen, daß sich die Leibniz’sche Unterscheidung "hinsichtlich des Charakters der Notwendigkeit auflöse".** Die beiden letzten Zitate a. a. O., S. 239 f.

Was hier zu AnfangZusatz von B. geltend gemacht wird, ist freilich richtig. Für mich zu behaupten notwendig ist jedes Urteil, während ich es fälle, und sein Gegenteil, während ich seiner noch gewiß bin, zu leugnen, ist mir unmöglich. Aber ist es diese psychologische Notwendigkeit,welche Leibniz meint, wenn er den Tatsachenwahrheiten die Notwendigkeit — die Rationalität abstreitet? Wieder ist es sicher, daß kein Gesetz erkannt werden kann, ohne das Haben der allgemeinen Begriffe, aus denen es sich aufbaut. Gewiß ist dieses Haben, wie die ganze Gesetzeserkenntnis, etwas Faktisches. Aber hat denn Leibniz das Erkennen des Gesetzes und nicht vielmehr die erkannte Gesetzeswahrheit als notwendig bezeichnet? Verträgt sich mit der Notwendigkeit der vérité de raison nicht sehr wohl die Kontingenz des Urteilsaktes, indem sie evtl. zu einsichtiger Erkenntnis kommen mag? Nur durch Vermengung der beiden wesentlich verschiedenen Begriffe von Notwendigkeit, der subjektiven des Psychologismus und der objektiven des Leibnizschen Idealismus, kommt in Sigwarts Argumentation der Schluß zustande, daß sich jene Unterscheidung Leibnizens "hinsichtlich des Charakters der Notwendigkeit auflöse". Dem fundamentalen objektiv-idealen Unterschied zwischen Gesetz und Tatsache entspricht unweigerlich ein subjektiver in der Weise des Erlebens. Hätten wir nie das Bewußtsein der Rationalität, des Apodiktischen erlebt in seiner charakteristischen Unterschiedenheit vom Bewußtsein der Tatsächlichkeit, so hätten wir gar nicht den Begriff von Gesetz, wir wären unfähig zu unterscheiden: Gesetz von Tatsache; generelle (ideale, gesetzliche) Allgemeinheit von universeller (tatsächlicher, zufälliger) Allgemeinheit; notwendige (d.h. wiederum gesetzliche, generelle) Folge von tatsächlicher (zufälliger, universeller) Folge; all das, wofern es wahr ist, daß Begriffe, die nicht als Komplexionen bekannter Begriffe (und zwar als Komplexionen bekannter Komplexionsformen) gegeben sind, uns ursprünglich nur erwachsen sein können auf Grund der AnschauungA: im Erlebnis┐1. von Einzelfällen. Leibnizens vérités de raison sind nichts anderes als die Gesetze, und zwar im strengen und reinen Sinn der idealen Wahrheiten, die "rein in den Begriffen gründen", die uns gegeben und von unsZusatz von B. erkannt sind in apodiktisch evidenten, reinen Allgemeinheiten. Leibnizens vérités de fait sind alle übrigenB: individuelle. Setzfehler; vgl. folgende Anmerkung. Wahrheiten, es ist die Sphäre der Sätze, welche über individuelle B: alle übrigen. Setzfehler; vgl. vorangehende Anmerkung. Existenz aussagen, mögen sie für uns auch die Form "allgemeiner" Sätze haben, wie "alle Südländer sind heißblütig".

20 § 40. Der Anthropologismus in B. Erdmanns Logik

Eine ausdrückliche Erörterung der relativistischen Konsequenzen, die in seiner ganzen Behandlung der logischen Funda mentalbegriffe und -probleme beschlossen sind, finden wir bei Sigwart nicht. Dasselbe gilt von Wundt. Obschon Wundts Logik den psychologischen Motiven einen womöglich noch freieren Spielraum gewährt als diejenige Sigwarts und ausgedehnte erkenntnistheoretische Kapitel enthält, so werden in ihr die letzten prinzipiellen Zweifel kaum berührt. Ähnliches gilt von Lipps, dessen Logik den Psychologismus übrigens so originell und konsequent vertritt, so sehr allen Kompromissen abhold, so tief bis in alle Verzweigungen der Disziplin durchgeführt, wie wir es seit Beneke kaum wieder finden.

Ganz anders liegt die Sache bei Erdmann. In lehrreicher Folgerichtigkeit tritt er in einer längeren Ausführung für den Relativismus entschieden ein, und durch Hinweis auf die Möglichkeit der Änderung der Denkgesetze glaubt er der "Vermessenheit" begegnen zu müssen, "die da meint, an diesem Punkte die Grenzen unseres Denkens überspringen, einen Standort für uns außerhalb unserer selbst gewinnen zu können".* B. Erdmann, Logik, I1, § 60, Nr. 370, S. 378 u. f. Es wird nützlich sein auf seine Lehre näher einzugehen.

Erdmann beginnt mit der Widerlegung des gegnerischen Standpunktes. "Mit überwiegender Majorität", so lesen wir,** a. a. O., Nr. 369, S. 375. Die weiter unten folgenden Zitate schließen sich der Reihe nach an. "ist seit Aristoteles behauptet worden, daß die Notwendigkeit dieser [logischen] Grundsätze eine unbedingte, ihre Geltung also eine ewige sei ....";

"Der entscheidende Beweisgrund dafür wird in der Denkunmöglichkeit der widersprechenden Urteile gesucht. Indessen folgt aus ihr allein doch nur, daß jene Grundsätze das Wesen unseres Vorstellens und Denkens wiedergeben. Denn lassen sie dieses erkennen, so können ihre kontradiktorischen Urteile nicht vollziehbar sein, weil sie eben die Bedingungen aufzuheben suchen, an die wir in allem unserem Vorstellen und Denken, also auch in unserem Urteilen gebunden sind."

Zunächst einige Worte über den Sinn des Argumentes. Es scheint zu schließen: Aus der Unvollziehbarkeit der Leugnung jener Grundsätze folgt, daß sie das Wesen unseres Vorstellens und Denkens wiedergeben; denn wenn sie es tun, so ergibt sich jene Unvollziehbarkeit als notwendige Folge. Dies kann nicht als Schluß gemeint sein. Daß A aus B folgt, kann ich nicht daraus erschließen, daß B aus A folgt. Die Meinung ist offenbar nur die, daß die Unmöglichkeit, die logischen Grundsätze zu leugnen, ihre Erklärung darin finde, daß diese Grundsätze "das Wesen unseres Vorstellens und Denkens wiedergeben". Mit dem Letzteren wiederum ist gesagt, daß sie Gesetze sind, welche feststellen, was dem allgemein menschlichen Vorstellen und Denken als solchem zukommt, "daß sie Bedingungen angeben, an die wir in allem unserem Vorstellen und Denken gebunden sind". Und darum, weil sie dies tun, sind kontradiktorisch sie leugnende Urteile — wie Erdmann annimmt — unvollziehbar.

Aber weder kann ich diesem Schluß beistimmen, noch den Behauptungen, aus denen er sich zusammensetzt. Es erscheint mir als sehr wohl möglich, daß gerade vermöge der Gesetze, denen alles Denken eines Wesens (z.B. eines Menschen) untersteht, in individuo Urteile zutage treten, welche die Geltung dieser Gesetze leugnen. Die Leugnung dieser Gesetze widerspricht ihrer Behauptung; aber die Leugnung als realer Akt kann sehr wohl verträglich sein mit der objektiven Geltung der Gesetze bzw. mit der realen Wirksamkeit der Bedingungen, über welche das Gesetz eine allgemeine Aussage macht. Handelt es sich beim Widerspruch um ein ideales Verhältnis von Urteilsinhalten, so handelt es sich hier um ein reales Verhältnis zwischen dem Urteilsakt und seinen gesetzlichen Bedingungen. Angenommen, es wären die Gesetze der Ideenassoziation Grundgesetze des menschlichen Vorstellens und Urteilens, wie die Assoziationspsychologie in der Tat lehrte, wäre es dann eine als absurd zu verwerfende Unmöglichkeit, daß ein Urteil, das diese Gesetze leugnete, sein Dasein gerade der Wirksamkeit dieser Gesetze verdankte? (Vgl. oben S. 671).

Aber selbst wenn der Schluß richtig wäre, seinen Zweck müßte er verfehlen. Denn der logische Absolutist (sit venia verbo) wird mit Recht einwenden: Die Denkgesetze, von welchen Erdmann spricht, sind entweder nicht diejenigen, von welchen ich und alle Welt spricht, und dann trifft er gar nicht meine These; oder er legt ihnen einen Charakter bei, der ihrem klaren Sinn durchaus widerstreitet. Und abermals wird er einwenden: Die Denkunmöglichkeit für die Negationen dieser Gesetze, welche sich aus ihnen als Folge ergeben soll, ist entweder dieselbe, die ich und alle Welt darunter verstehen, dann spricht sie für meine Auffassung; oder sie ist eine andere, dann bin ich abermals nicht getroffen.

Was das Erste anlangt, so drücken die logischen Grundsätze nichts weiter aus, als gewisse Wahrheiten, die im bloßen Sinn (Inhalt) gewisser Begriffe, wie Wahrheit, Falschheit, Urteil (Satz) u. dgl. gründen. Nach Erdmann sind sie aber "Denkgesetze", welche das Wesen unseres menschlichen Denkens ausdrücken; sie nennen die Bedingungen, an welche alles menschliche Vorstellen und Denken gebunden ist, sie würden sich, wie gleich nachher expressis verbis gelehrt wird, mit der menschlichen Natur verändern. Folglich hätten sie nach Erdmann einen realen Inhalt. Aber dies widerspricht ihrem Charakter als rein begrifflichen Sätzen. Kein Satz, der in bloßen BegriffenIn A folgt: (Bedeutungen in specie)┐1. gründet, der bloß feststellt, was in den Begriffen liegt und mit ihnen gegeben ist, sagt etwas über Reales aus. Und man braucht nur auf den wirklichen Sinn der logischen Gesetze hinzublicken, um zu erkennen, daß sie dies auch nicht tun. Selbst wo in ihnen von Urteilen die Rede ist, meinen sie nicht das, was die psychologischen Gesetze mit diesem Worte treffen wollen, nämlich Urteile als reale Erlebnisse, sondern sie meinen Urteile in dem Sinne von Aussagebedeutungen in specie, die identisch sind, was sie sind, ob sie wirklichen Akten des Aussagens zugrunde liegen oder nicht, und wieder ob sie von dem oder jenem ausgesagt werden. Sowie man die logischen Prinzipien als Realgesetze auffaßt, die in der Weise von Naturgesetzen unser reales Vorstellen und Urteilen regeln, verändert man total ihren Sinn — wir haben dies oben ausführlich erörtert.

Man sieht, wie gefährlich es ist, die logischen Grundgesetze als Denkgesetze zu bezeichnen. Sie sind es, wie wir im nächsten Kapitel noch genauer darlegen werden, nur in dem Sinne von Gesetzen, die bei der Normierung des Denkens eine Rolle zu spielen berufen sind; eine Ausdrucksweise, die schon andeutet, daß es sich dabei um eine praktische Funktion handelt, eine Nutzungsweise, und nicht um etwas in ihrem Inhalt selbst Liegendes. Daß sie nun das "Wesen des Denkens" ausdrücken, dies könnte im Hinblick auf ihre normative Funktion einen wohlberechtigten Sinn noch gewinnen, wenn die Voraussetzung erfüllt wäre, daß in ihnen die notwendigen und hinreichenden Kriterien gegeben sind, nach welchen die Richtigkeit jedes Urteils zu bemessen wäre. Man könnte dann allenfalls sagen, daß sie das ideale Wesen alles Denkens, im outrierten Sinne des richtigen Urteilens, ausprägten. So hätte es der alte Rationalismus gerne gefaßt, der sich aber nicht klar machen konnte, daß die logischen Grundsätze nichts weiter sind als triviale Allgemeinheiten, gegen die eine Behauptung bloß darum nicht streiten darf, weil sie sonst widersinnig wäre, und daß also umgekehrt die Harmonie des Denkens mit diesen Normen auch nicht mehr verbürgt, als daß es in sich formalIn A folgt: (nicht). Die Weglassung in B entspricht den "Berichtigungen" zu A. einstimmig sei. Darnach wäre es ganz unpassend, auch jetzt noch in diesem (idealen) Sinne von dem "Wesen des Denkens" zu sprechen und es durch jene Gesetze* Ich denke hier schon alle rein logischen Gesetze zusammengefaßt. Mit den zwei oder drei "Denkgesetzen" im traditionellen Sinn bringt man nicht einmal den Begriff eines formal-einstimmigen Denkens zustande, und alles, was dem entgegen von alters-her gelehrt wurde, halte ich (und nicht ich allein) für Täuschung. Jeder formale Widersinn läßt sich auf einen Widerspruch reduzieren, aber nur unter Vermittlung gar mannigfaltiger anderer formaler Grundsätze, z.B. der syllogistischen, der arithmetischen usw. Schon in der Syllogistik ist deren Zahl mindestens ein Dutzend. Sie lassen sich alle trefflich demonstrieren — in Scheinbeweisen, die sie selbst oder ihnen äquivalente Sätze voraussetzen. zu umschreiben, die, wie wir wissen, nicht mehr leisten, als uns den formalen Widersinn vom Leibe zu halten. Es ist noch ein Überrest des rationalistischen Vorurteils, wenn man bis in unsere Zeit statt von formaler Einstimmigkeit, von formaler Wahrheit gesprochen hat, ein höchst verwerfliches, weil beirrendes Spiel mit dem Worte Wahrheit.

Doch gehen wir nun zum zweiten Punkte über. Die Unmöglichkeit der Leugnung der Denkgesetze faßt Erdmann als Unvollziehbarkeit solcher Leugnung. Diese beiden Begriffe halten wir logischen Absolutisten für so wenig identisch, daß wir die Unvollziehbarkeit überhaupt leugnen und die Unmöglichkeit aufrecht halten. Nicht die Leugnung als Akt ist unmöglich (und das hieße, als zu einem Realen gehörig, so viel wie real-unmöglich), sondern der ihren Inhalt bildende negative Satz ist unmöglich, und zwar ist er als idealer in idealem Sinne unmöglich; darin liegt aber: er ist widersinnig und somit evident falsch. Diese ideale Unmöglichkeit des negativen Satzes streitet gar nicht mit der realen MöglichkeitA: Unmöglichkeit. des negierenden Urteilsaktes. Man vermeide noch den letzten Rest äquivoker Ausdrücke, man sage, der Satz sei widersinnig, der UrteilsaktA: das Urteil. sei kausal nicht Fehlt in A. ausgeschlossen, und alles wird völlig klar.

Im faktischen Denken des normalen Menschen tritt nun freilich die aktuelle Negation eines Denkgesetzes in der Regel nicht auf; aber daß es beim Menschen überhaupt nicht auftreten kann, wird man schwerlich behaupten können, nachdem große Philosophen wie Epikur und Hegel den Satz des Widerspruchs geleugnet haben. Vielleicht sind Genie und Wahnsinn einander auch in dieser Hinsicht verwandt, vielleicht gibt es auch unter den Irrsinnigen Leugner der Denkgesetze; als Menschen wird man doch auch sie müssen gelten lassen. Man erwäge auch: Im selben Sinne denkunmöglich wie die Negation der primitiven Grundsätze ist diejenige aller ihrer notwendigen Konsequenzen. Aber daß man sich in Beziehung auf verwickelte syllogistische oder arithmetische Lehrsätze täuschen kann, ist allbekannt, und so dient auch dies als unanfechtbares Argument. Im übrigen sind dies Streitfragen, die das Wesentliche nicht berühren. Die logische Unmöglichkeit, als Widersinnigkeit des idealen Urteilsinhalts, und die psychologische Unmöglichkeit, als Unvollziehbarkeit des korrespondierenden Urteilsaktes, wären heterogene Begriffe auch dann, wenn die letztere mit der ersteren allgemeinmenschlich gegeben, also die Fürwahrhaltung von Widersinnigkeiten naturgesetzlich ausgeschlossen wäre.* Vgl. die Erörterungen des § 22 in Kap. IV, besonders S. 67 f.

Es ist nun diese echte logische Unmöglichkeit des Widerspruches gegen die Denkgesetze, welche der logische Absolutist als Argument für die "Ewigkeit" dieser Gesetze verwendet. Was meint hier die Rede von der Ewigkeit? Doch nur den Umstand, daß jedes Urteil, unabhängig von Zeit und Umständen, von Individuen und Spezies, durch die rein logischen Gesetze "gebunden" ist; und dies Letztere natürlich nicht im psychologischen Sinne eines Denkzwanges, sondern in dem idealen Sinne der Norm: wer eben anders urteilte, urteilte unbedingt falsch, zu welcher Spezies psychischer Wesen er sich nun rechnen mögeA: mag.. Die Beziehung auf psychische Wesen bedeutet offenbar keine Einschränkung der Allgemeinheit. Normen für Urteile "binden" urteilende Wesen und nicht Steine. Das liegt in ihrem Sinn, und so wäre es lächerlich, die Steine und ähnliche Wesen in dieser Hinsicht als Ausnahmen zu behandeln. Der Beweis des logischen Absolutisten ist nun sehr einfach. Er wird eben sagen: Folgender Zusammenhang ist mir durch Einsicht gegeben. Es gelten die und die Grundsätze, und sie tun es so, daß sie nur entfalten, was im Inhalt ihrer Begriffe gründet. Folglich ist jeder Satz (d.i. jeder mögliche Urteilsinhalt im idealen Sinne) widersinnig, wenn er die Grundgesetze entweder unmittelbar negiert oder gegen sie mittelbar verstößt. Das Letztere besagt ja nur, daß ein rein deduktiver Zusammenhang an die Wahrheit solcher Urteilsinhalte als Hypothesis die Unwahrheit jener Grundsätze als Thesis anknüpft. Sind darnach Urteilsinhalte dieser Art wider sinnig und als solche falsch, so muß auch jedesIn B nicht gesperrt. aktuelle Urteil, dessen Inhalte sie sind, unrichtig sein; denn richtig heißt ein Urteil, wenn "das was es urteilt", d.i. sein Inhalt, wahr, also unrichtig, wenn derselbe falsch ist.

Ich betonte soeben jedes Urteil, um aufmerksam zu machen, daß der Sinn dieser strengen Allgemeinheit jede Einschränkung, also auch die auf menschliche oder andersartige Gattungen urteilender Wesen eo ipso ausschließt. Ich kann niemanden zwingen, einzusehen, was ich einsehe. Aber ich selbst kann nicht zweifeln, ich sehe ja abermals ein, daß jeder Zweifel hier, wo ich Einsicht habe, d.i. die Wahrheit selbst erfasse, verkehrt wäre; und so finde ich mich überhaupt an dem Punkte, den ich entweder als den archimedischen gelten lasse, um von hier aus die Welt der Unvernunft und des Zweifels aus den Angeln zu heben, oder den ich preisgebe, um damit alle Vernunft und Erkenntnis preiszugeben. Ich sehe ein, daß sich dies so verhält, und daß ich im letzteren Falle — wenn von Vernunft oder Unvernunft dann noch zu reden wäre — alles vernünftige Wahrheitsstreben, alles Behaupten und Begründen einstellen müßte.

Mit all dem finde ich mich nun freilich in Widerstreit mit dem ausgezeichneten Forscher. Er fährt nämlich fort.

"Unbedingt wäre die so begründete Notwendigkeit der formalen Grundsätze ... nur dann, wenn unsere Erkenntnis derselben verbürgte, daß das Wesen des Denkens, das wir in uns finden und durch sie ausdrücken, ein unveränderliches, oder gar das einzig mögliche Wesen des Denkens wäre, daß jene Bedingungen unseres Denkens zugleich die Bedingungen jedes möglichen Denkens wären. Wir wissen jedoch nur von unserem Denken. Ein von dem unseren verschiedenes, also auch ein Denken überhaupt als Gattung zu solchen verschiedenen Arten des Denkens zu konstruieren sind wir nicht imstande. Worte, die ein solches zu beschreiben scheinen, haben keinen von uns vollziehbaren Sinn, der dem Anspruch genügte, den dieser Schein erwecken soll. Denn jeder Versuch, das, was sie beschreiben, herzustellen, ist an die Bedingungen unseres Vorstellens und Denkens gebunden, bewegt sich in ihrem Kreise."

Würden wir so verfängliche Reden, wie die vom "Wesen unseres Denkens" in rein logischen Zusammenhängen überhaupt gelten lassen, würden wir sie also nach Maßgabe unserer Analysen durch die Summe der Idealgesetze fassen, welche die formale Einstimmigkeit des Denkens umgrenzen, dann würden wir natürlich auch den Anspruch erheben, das strenge erwiesen zu haben, was Erdmann für unerweisbar hält; daß das Wesen des Denkens ein unveränderliches, ja gar das einzig mögliche wäre usw. Aber freilich ist es klar, daß Erdmann, während er dies leugnet, jenen allein berechtigten Sinn der fraglichen Redeweise nicht innehält, es ist klar, daß er (die weiter unten folgenden Zitate lassen es noch schroffer hervortreten) die Denkgesetze als Ausdrücke des realen Wesens unseres Denkens, somit als Realgesetze faßt, als ob wir mit ihnen eine unmittelbare Einsicht in die allgemein menschliche Konstitution nach ihrer Erkenntnisseite gewönnen. Leider ist dies gar nicht der Fall. Wie sollten auch Sätze, die nicht im entferntesten von Realem sprechen, die nur klar legen, was mit gewissen Wortbedeutungen oder Aussagebedeutungen sehr allgemeiner Art unabtrennbar gesetzt ist, so gewichtige Erkenntnisse realer Art, über das "Wesen geistiger Vorgänge, kurz unserer Seele" (wie wir weiter unten lesen) gewähren?

Andererseits, hätten wir durch solche oder andere Gesetze Einsicht in das reale Wesen des Denkens, dann kämen wir doch zu ganz anderen Konsequenzen wie der verdiente Forscher. "Wir wissen nur von unserem Denken." Genauer gesprochen wissen wir nicht nur von unserem individuell-eigenen Denken, sondern, als wissenschaftliche Psychologen, auch ein klein wenig vom allgemein-menschlichen, und noch viel weniger vom tierischen. Jedenfalls ist aber ein in diesem realen Sinne andersartiges Denken und sind ihm zugeordnete Spezies denkender Wesen für unsgar nicht denkunmöglich, sie könnten sehr wohl und sinnvoll beschrieben werden, ganz so wie dergleichen bei fiktiven naturwissenschaftlichen Spezies nicht ausgeschlossen ist. Böcklin malt uns die prächtigsten Zentauren und Nixen mit leibhaftiger Natürlichkeit. Wir glauben sie ihm — mindestens ästhetisch. Freilich, ob sie auch naturgesetzlich möglich sind, wer wollte dies entscheiden. Aber hätten wir die letzte Einsicht in die Komplexionsformen organischer Elemente, welche die lebendige Einheit des Organismus gesetzlich ausmachen, hätten wir die Gesetze, welche den Strom solchen Werdens in dem typisch geformten Bette erhalten, so könnten wir den wirklichen Spezies mannigfaltige objektiv mögliche in wissenschaftlich exakten Begriffen anreihen, wir könnten diese Möglichkeiten so ernsthaft diskutieren, wie der theoretische Physiker seine fingierten Spezies von Gravitationen. Jedenfalls ist die logische Möglichkeit solcher Fiktionen auf naturwissenschaftlichem wie auf psychologischem Gebiet unanfechtbar. Erst wenn wir die μετάβασις εἰς ἄλλο γένος vollziehen, die Region der psychologischen Denkgesetze mit der der rein logischen verwechseln, und nun die letzteren selbst in psychologistischem Sinne mißdeuten, gewinnt die Behauptung, andersartige Denkweisen vorzustellen seien wir außerstande, die Worte, die sie zu beschreiben scheinen, hätten für uns keinen vollziehbaren Sinn, einen Anschein von Berechtigung. Mag sein, daß wir uns von solchen Denkweisen "keine rechte Vorstellung" zu machen vermögen, mag sein, daß sie auch in absolutem Sinn für uns unvollziehbar sind; aber diese Unvollziehbarkeit wäre in keinem Falle die Unmöglichkeit im Sinne der Absurdität, des Widersinns.

Vielleicht ist folgende Überlegung zur Klärung nicht unnütz. Theoreme aus der Lehre von den Abelschen Transzendenten haben für ein Wickelkind, und sie haben ebenso für den Laien (das mathematische Kind, wie die Mathematiker scherzhaft zu sagen pflegen) keinen "vollziehbaren Sinn". Das liegt an den individuellen Bedingungen ihres Vorstellens und Denkens. Genau so wie wir Reifen zum Kinde, wie der Mathematiker zum Laien, so könnte sich allgemein eine höhere Spezies denkender Wesen, sagen wir Engel, zu uns Menschen verhalten. Deren Worte und Begriffe hätten für uns keinen vollziehbaren Sinn, gewisse spezifische Eigenheiten unserer psychischen Konstitution ließen es eben nicht zu. Der normale Mensch braucht, um die Theorie der Abelschen Funktionen, ja auch nur um deren Begriffe zu verstehen, einige, sagen wir fünf Jahre. Es könnte sein, daß er, um die Theorie gewisser engelischer Funktionen zu verstehen, bei seiner Konstitution eines Jahrtausends bedürfte, während er doch im günstigen Falle ein Jahrhundert kaum erreichen wird. Aber diese absolute, durch die natürlichenA: gesetzlichen. Schranken der spezifischen Konstitution bedingte Unvollziehbarkeit wäre natürlich nicht diejenige, welche uns die Absurditäten, die widersinnigen Sätze zumuten. Im einen Falle handelt es sich um Sätze, die wir schlechterdings nicht verstehen können; dabei sind sie an sich betrachtet einstimmig und sogar gültig. Im anderen Falle hingegen verstehen wir die Sätze sehr wohl; aber sie sind widersinnig, und darum "können wir an sie nicht glauben", d.h. wir sehen ein, daß sie als widersinnige verwerflich sind.

Betrachten wir nun auch die extremen Konsequenzen, welche Erdmann aus seinen Prämissen zieht. Gestützt auf das "leere Postulat eines anschauenden Denkens", müssen wir nach ihm "die Möglichkeit zugeben, daß ein Denken, welches von dem unsrigen wesensverschieden ist, stattfinde", und er zieht daraus den Schluß, daß somit "die logischen Grundsätze auch nur für den Bereich dieses unseres Denkens gelten, ohne daß wir eine Bürgschaft dafür hätten, daß dieses Denken sich seiner Beschaffenheit nach nicht ändern könnte. Denn es bleibt demnach möglich, daß eine solche Änderung eintrete, sei es, daß sie alle, sei es, daß sie nur einige dieser Grundsätze träfe, da sie nicht alle aus einem analytisch ableitbar sind. Es ist belanglos, daß diese Möglichkeit in den Aussagen unseres Selbstbewußtseins über unser Denken keine Stütze findet, die ihre Verwirklichung vorhersehen ließe. Sie besteht trotz alledem. Denn wir können unser Denken nur hinnehmen, wie es ist. Wir sind nicht in der Lage, seine zukünftige Beschaffenheit durch die gegenwärtige in Fesseln zu schlagen. Wir sind insbesondere unvermögend, das Wesen unserer geistigen Vorgänge, kurz unserer Seele so zu fassen, daß wir aus ihr die Unveränderlichkeit des uns gegebenen Denkens deduzieren könnten."* Vgl. a. a. O., Nr. 369, sub e, S. 377-78. — Hatte man sich mit der Möglichkeit einer Veränderung des logischen Denkens einmal vertraut gemacht, so lag der Gedanke einer Entwicklung desselben nicht mehr fern. Nach G. Ferrero, Les lois psychologiques du Symbolistne, Paris 1895, soll die Logik — so lese ich in einem Referat A. Lassons in der Zeitschrift f. Philos., Bd. 113, S. 85 — "positiv werden und die Gesetze des Schließens je nach dem Alter und der Entwicklungsstufe der Kultur darstellen; denn auch die Logik ändere sich mit der Entwicklung des Gehirns ... Daß man früher die reine Logik und die deduktive Methode vorgezogen habe, sei Denkfaulheit gewesen, und die Metaphysik sei das kolossale Denkmal dieser Denkfaulheit bis zum heutigen Tage geblieben, glücklicherweise nur noch bei einigen Zurückgebliebenen nachwirkend".

Und so können wir nach Erdmann "nicht umhin, einzugestehen, daß alle jene Sätze, deren widersprechende Gedanken von uns unvollziehbar sind, nur unter der Voraussetzung der Beschaffenheit unseres Denkens notwendig sind, die wir als diese bestimmte erleben, nicht aber absolut, unter jeder möglichen Bedingung. Unseren logischen Grundsätzen also bleibt auch hiernach ihre Denknotwendigkeit; nur daß sie nicht als absolute, sondern als hypothetische [in unserer Redeweise: relative] angesehen wird. Wir können nicht anders, als ihnen zustimmen — nach der Natur unseres Vorstellens und Denkens. Sie gelten allgemein, vorausgesetzt daß unser Denken dasselbe bleibt. Sie sind notwendig, weil wir nur unter ihrer Voraussetzung denken können, solange sie das Wesen unseres Denkens ausdrücken."* Vgl. a. a. O., Nr. 370, S. 378.

Nach den bisherigen Ausführungen brauche ich nicht zu sagen, daß meines Erachtens diese Konsequenzen zu Recht nicht bestehen können. Gewiß gilt die Möglichkeit, daß ein von dem unsrigen wesensverschiedenes Seelenleben stattfinde. Gewiß können wir unser Denken nur hinnehmen, wie es ist, gewiß wäre jeder Versuch töricht, aus "dem Wesen unserer geistigen Vorgänge, kurz unserer Seele", ihre Unveränderlichkeit deduzieren zu wollen. Aber daraus folgt mitnichten jene toto coelo verschiedene Möglichkeit, daß Veränderungen unserer spezifischen Konstitution, sei es alle oder einige Grundsätze träfen, und daß somit die Denknotwendigkeit dieser Sätze eine bloß hypothetische sei. Vielmehr ist all das widersinnig, widersinnig in dem prägnanten Sinne, in dem wir das Wort (natürlich ohne jede Färbung, als rein wissenschaftlichen Terminus) hier allzeit gebraucht haben. Es ist der Unsegen unserer vieldeutigen logischen Terminologie, daß dergleichen Lehren noch auftreten und selbst ernste Forscher täuschen können. Wären die primitiven begrifflichen Unterscheidungen der Elementarlogik vollzogen und auf Grund derselben die Terminologie geklärt, würden wir uns nicht mit so elenden Äquivokationen herumschleppen, wie sie allen logischen Terminis — Denkgesetz, Denkform, reale und formale Wahrheit, Vorstellung, Urteil, Satz, Begriff, Merkmal, Eigenschaft, Grund, Notwendigkeit usw. — anhaften, wie könnten so viele Widersinnigkeiten, darunter die des Relativismus, in Logik und Erkenntnislehre theoretisch vertreten werden und in der Tat einen Schein für sich haben, der selbst bedeutende Denker blendet?

Die Rede von derZusatz von B. Möglichkeit von variablen "Denkgesetzen" als psychologischen Gesetzen des Vorstellens und Urteilens, welche für verschiedene Spezies psychischer Wesen mannigfach differieren, ja in einer und derselben von Zeit zu Zeit wechseln, das gibt einen guten Sinn. Denn unter psychologischen "Gesetzen" pflegen wir "empirische Gesetze" zu verstehen, ungefähre Allgemeinheiten der Koexistenz und Sukzession, auf Tatsächlichkeiten bezüglich, die in einem Falle so, im anderen anders sein können. Auch die Möglichkeit von variablen Denk┌ ┐gesetzen als normativen Gesetzen des Vorstellens und Urteilens gestehen wir gerne zu. Gewiß können normative Gesetze der spezifischen Konstitution der urteilenden Wesen angepaßt und daher mit ihnen veränderlich sein. Offenbar trifft dies die Regeln der praktischen Logik als Methodenlehre, so wie es auch die methodischen Vorschriften der Einzelwissenschaften trifft. Die mathematisierenden Engel mögen andere Rechenmethoden haben als wir — aber auch andere Grundsätze und Lehrsätze? Diese Frage führt uns denn auch weiter: Widersinnig wird die Rede von variablen Denkgesetzen erst dann, wenn wir darunter die rein-logischen Gesetze verstehen (an welche wir auch die reinen Gesetze der Anzahlenlehre, der Ordinalzahlenlehre, der reinen Mengenlehre usw. an-gliedern dürfen). Der vage Ausdruck "normative Gesetze des Denkens", mit dem man auch sie bezeichnet, verführt allgemein dazu, sie mit jenen psychologisch fundierten Denkregeln zusammenzuwerfen. Sie aber sind rein theoretische Wahrheiten idealer Art, rein in ihrem Bedeutungsgehalt wurzelnd und nie über ihn hinausgehend. Sie können also durch keine wirkliche oder fiktive Änderung in der Welt des matter of fact berührt werden.

Im Grunde hätten wir hier eigentlich einen dreifachen Gegensatz zu berücksichtigen: nicht bloß den zwischen praktischer Regel und theoretischem Gesetz, und wieder den zwischen Idealgesetz und Realgesetz, sondern auch den Gegensatz zwischen exaktem Gesetz und "empirischem Gesetz" (sc. als Durchschnittsallgemeinheit, von der es heißt: "keine Regel ohne Ausnahme"). Hätten wir Einsicht in die exakten Gesetze des psychischen Geschehens, dann wären auch sie ewig und unwandelbar, sie wären es, wie die Grundgesetze der theoretischen Naturwissenschaften, sie würden also gelten, auch wenn es kein psychisches Geschehen gäbe. Würden alle gravitierenden Massen vernichtet, so wäre damit nicht das Gravitationsgesetz aufgehoben, es bliebe nur ohne Möglichkeit faktischer Anwendung. Es sagt ja nichts über die Existenz gravitierender Massen, sondern nur über das, was gravitierenden Massen als solchen zukommt. (Freilich liegt, wie wir oben* Vgl. Kapitel IV, § 23, S. 71-73. erkannt haben, der Statuierung exakter Naturgesetze eine idealisierende Fiktion zugrunde, von der wir hier absehen, uns an die bloße Intention dieser Gesetze haltend.) Sowie man also nur zugesteht, daß die logischen Gesetze exakte sind undIn A folgt: nur. als exakte eingesehen werden, ist schon die Möglichkeit ihrer Änderung durch Änderungen in den Kollokationen des tatsächlichen Seins und die dadurch gesetzten Umbildungen der naturhistorischen und geistigen Spezies ausgeschlossen, somit ihre "ewige" Geltung verbürgt.

Von psychologistischer Seite könnte jemand unserer Position entgegenhalten, daß wie alle Wahrheit, so auch die der logischen Gesetze in der Erkenntnis liegt, und daß die Erkenntnis als psychisches Erlebnis selbstredend psychologischen Gesetzen untersteht. Aber ohne hier die Frage erschöpfend zu erörtern, in welchem Sinne die Wahrheit in der Erkenntnis liegt, weise ich doch darauf hin, daß keine Änderung psychologischer Tatsächlichkeiten aus der Erkenntnis einen Irrtum, aus dem Irrtum eine Erkenntnis machen kann. Entstehen und Vergehen der Erkenntnisse als Phänomene hängt natürlich an psychologischen Bedingungen, so wie das Entstehen und Vergehen anderer psychischer Phänomene, z.B. der sinnlichen. Aber wie kein psychisches Geschehen es je erreichen kann, daß das Rot, das ich eben anschaue, statt einer Farbe vielmehr ein Ton, oder daß der tiefere von zwei Tönen der höhere sei; oder allgemeiner gesprochen, so wie alles, was in dem Allgemeinen des jeweiligen Erlebnisses liegt und gründet, über jede mögliche Änderung erhaben ist, weil alle Änderung die individuelle Einzelheit angeht, aber für das Begriffliche ohne Sinn ist: so gilt das Entsprechende auch für die "Inhalte" der Erkenntnisakte. Zum Begriff der Erkenntnis gehört, daß sein Inhalt den Charakter der Wahrheit habe. Dieser Charakter kommt nicht dem flüchtigen Erkenntnisphänomen zu, sondern dem identischen Inhalte desselben, dem Idealen oder Allgemeinen, das wir alle im Auge haben, wenn wir sagen: ich erkenne, daß a + b = b + a ist, und unzählige andere erkennen dasselbe. Natürlich kann es sein, daß sich aus Erkenntnissen Irrtümer entwickeln, z.B. im Trugschluß; darum ist nicht die Erkenntnis als solche zum Irrtum geworden, es hat sich nur kausal das eine an das andere angereiht. Es kann auch sein, daß sich in einer Spezies urteilsfähiger Wesen überhaupt keine Erkenntnisse entwickeln, daß alles, was sie für wahr halten, falsch, und alles, was sie für falsch halten, wahr ist. In sich blieben Wahrheit und Falschheit aber ungeändert; sie sind wesentlich Beschaffenheiten der bezüglichen Urteilsinhalte, nicht solche der Urteilsakte; sie kommen jenen zu, ob sie auch von niemandem anerkannt werden: ganz so, wie Farben, Töne, Dreiecke usw. die wesentlichen Beschaffenheiten, die ihnen als Farben, Tönen, Dreiecken usw. zukommen, allzeit haben, ob jemand in aller Welt es jemals erkennen mag oder nicht.

Die Möglichkeit also, die Erdmann zu begründen versucht hat, nämlich, daß andere Wesen ganz andere Grundsätze haben könnten, darf nicht zugestanden werden. Eine widersinnige Möglichkeit ist eben eine Unmöglichkeit. Man versuche nur einmal auszudenken, was in seiner Lehre liegt. Da gäbe es vielleicht Wesen eigener Art, sozusagen logische Übermenschen, für welche unsere Grundsätze nicht gelten, vielmehr ganz andere Grundsätze, derart, daß jede Wahrheit für uns zur Falschheit wird für sie. Ihnen gilt es recht, daß sie die psychischen Phänomene, die sie jeweils erleben — nicht erleben. Daß wir und daß sie existieren, mag für uns wahr sein, für sie ist es falsch usw. Freilich würden wir logischen Alltagsmenschen urteilen: solche Wesen sind von Sinnen, sie reden von der Wahrheit und heben ihre Gesetze auf, sie behaupten ihre eigenen Denkgesetze zu haben, und sie leugnen diejenigen, an welchen die Möglichkeit von Gesetzen überhaupt hängt. Sie behaupten und lassen zugleich die Leugnung des Behaupteten zu. Ja und Nein, Wahrheit und Irrtum, Existenz und Nichtexistenz verlieren in ihrem Denken jede Auszeichnung voreinander. Nur merken sie ihre Widersinnigkeiten nicht, während wir sie merken, ja mit lichtvollster Einsicht als solche erkennen. — Wer dergleichen Möglichkeiten zugesteht, ist vom extremsten Skeptizismus nur durch Nuancen geschieden; die Subjektivität der Wahrheit ist, statt auf die einzelne Person, auf die Spezies bezogen. Er ist spezifischer Relativist in dem von uns oben definierten Sinne und unterliegt den erörterten Einwänden, die wir hier nicht wiederholen. Im übrigen sehe ich es nicht ein, warum wir bei den Grenzscheiden fingierter Rassenunterschiede Halt machen sollen. Warum nicht die wirklichen Rassenunterschiede, die Unterschiede zwischen Vernunft und Wahnsinn und endlich die individuellen Unterschiede als gleichberechtigt anerkennen?

Vielleicht wendet ein Relativist gegen unsere Berufung auf die Evidenz bzw. auf den evidenten Widersinn der uns zugemuteten Möglichkeit den oben mitzitierten Satz ein, es sei "belanglos, daß diese Möglichkeit in den Aussagen des Selbstbewußtseins keine Stütze findet", es sei ja selbstverständlich, daß wir nicht unseren Denkformen zuwider denken können. Indessen, unter Absehen von dieser psychologistischen Interpretation der Denkformen, die wir schon widerlegt haben, weisen wir darauf hin, daß solche Auskunft den absoluten Skeptizismus bedeutet. Dürften wir der Evidenz nicht mehr vertrauen, wie könnten wir überhaupt noch Behauptungen aufstellen und vernünftig vertreten? Etwa mit Rücksicht darauf, daß andere Menschen ebenso konstituiert sind wie wir, also vermöge gleicher Denkgesetze auch zu ähnlicher Beurteilung geneigt sein möchten? Aber wie können wir dies wissen, wenn wir überhaupt nichts wissen können? Ohne Einsicht kein Wissen.

Es ist doch recht sonderbar, daß man so zweifelhaften Behauptungen, wie es die über das Allgemeinmenschliche sind, Vertrauen schenken will, nicht aber jenen puren Trivialitäten, die zwar sehr gering sind an inhaltlicher Belehrung, aber für das Wenige, was sie besagen, uns klarste Einsicht gewähren; und darin ist jedenfalls von denkenden Wesen und ihren spezifischen Eigentümlichkeiten schlechterdings nichts zu finden.

Der Relativist kann auch nicht dadurch eine, wenn auch nur vorläufig gebesserte Position zu erringen hoffen, daß er sagt: Du behandelst mich als extremen Relativisten, ich aber bin es nur hinsichtlich der logischen Grundsätze; alle anderen Wahrheiten mögen unangefochten bleiben. So entgeht er den allgemeinen Einwänden gegen den spezifischen Relativismus jedenfalls nicht. Wer die logischen Grundwahrheiten relativiert, relativiert auch alle Wahrheit überhaupt. Es genügt, auf den Inhalt des Satzes vom Widerspruch hinzublicken und die naheliegenden Konsequenzen zu ziehen.

Solchen Halbheiten bleibt Erdmann selbst durchaus ferne: den relativistischen Wahrheitsbegriff, den seine Lehre fordert, hat er seiner Logik in der Tat zugrunde gelegt. Die Definition lautet: "Die Wahrheit eines Urteils besteht darin, daß die logische Immanenz seines Gegenstandes subjektiv, spezieller, objektiv gewiß, und der prädikative Ausdruck dieser Immanenz denknotwendig ist."* a. a. O., Nr. 278, S. 275. So bleiben wir freilich im Gebiet des Psychologischen. Denn Gegenstand ist für Erdmann das Vorgestellte, und dieses wiederum wird ausdrücklich identifiziert mit Vorstellung. Ebenso ist die "objektive oder Allgemeingewißheit" nur scheinbar ein Objektives, denn sie "gründet sich auf die allgemeine Übereinstimmung der Urteilenden".** a. a. O., S. 274. Zwar den Ausdruck "objektive Wahrheit" vermissen wir bei Erdmann nicht, aber er identifiziert sie mit "Allgemeingültigkeit", d.i. Gültigkeit für alle. Diese aber zerfällt ihm in Gewißheit für alle, und wenn ich recht verstehe, auch in Denknotwendigkeit für alle. Eben dies meint auch die obige Definition. Bedenklich möchte man werden, wie wir in einem einzigen Falle zur berechtigten Behauptung der objektiven Wahrheit in diesem Sinne kommen, und wie wir dem unendlichen Regressus entgehen sollen, der durch die Bestimmung gefordert und auch von dem hervorragenden Forscher bemerkt worden ist. Leider reicht die Auskunft, die er erteiltA: ergreift., nicht hin. Gewiß sind, wie er sagt, die Urteile, in denen wir die Übereinstimmung mit anderen behaupten, nicht diese Übereinstimmung selbst; aber was kann dies nützen, und was die subjektive Gewißheit, die wir dabei haben? Berechtigt wäre unsere Behauptung doch nur dann, wenn wir von dieser Übereinstimmung wüßten, und das heißt wohl, ihrer Wahrheit inne würden. Man möchte auch fragen, wie wir auch nur zur subjektiven Gewißheit von der Übereinstimmung aller kommen sollten, und endlich, um von dieser Schwierigkeit abzusehen, ob es denn überhaupt zu rechtfertigen ist, die Forderung der Allgemeingewißheit zu stellen, als ob die Wahrheit bei allen und nicht vielmehr bei einigen Auserwählten zu finden wäreA: ist..

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First Edition
(1900) "Der Psychologismus als skeptischer Relativismus", in: Husserl Edmund, Logische Untersuchungen. Erster Theil, Halle (Saale), Niemeyer, pp.110-153.